Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

amerikanischen Lebensmittel verpackt waren, stibitzten wir vom Hof, zerlegten sie und nutzten sie auf vielfältige Weise. Zum Beispiel stellten wir aus dem festen Karton wunderbare Damesteine her. Wir schnitten runde Pappscheiben zurecht, klebten sorgfältig mehrere aufeinander, schmirgelten sie ab und strichen sie mit schwarzer Farbe an. Mit einer Schablone trugen wir das Muster auf. Wenn die Steine getrocknet waren, wurden sie mit Spirituslack überzogen. Dadurch wurden sie hart und knallten beim Aufsetzen auf die Tischplatte wie echte Damesteine. Die Herstellung erfolgte unter Leitung und Mithilfe von Onkel Themis, dem »alten Griechen«. Er kochte uns Kleister, gab uns Schmirgelpapier und Lack. Mit der Zeit gerieten unsere Steine so perfekt, dass die Wächter uns zwei Sätze wegnahmen, um selbst damit zu spielen.
    Später, zum Tag des Sieges, brachten es die Alten fertig, drei Knallbüchsen zu basteln, und ließen beim Geballer des offiziellen Saluts zu Ehren des Sieges über das faschistische Deutschland unser »Feuerwerk« krachen. Einer der Jungs wurde dabei verletzt – er verbrannte sich mit dem Streichholzschwefel die Finger.
    Strengstens verboten war im Kinderheim das Kartenspiel. Gespielt wurden Siebzehnundvier und Bura, an andere Spiele kann ich mich nicht erinnern. Natürlich spielten nur die Älteren. Wir Knirpse standen wie immer Schmiere. Die Karten wurden auch im Kinderheim angefertigt. Die Arbeit galt als qualifiziert, und nicht jeder konnte das. Dazu bedurfte es bestimmter Fähigkeiten. Schon als Knirps versuchte ich mich im Zeichnen von Karten. Kraft und Stärke konnte ich nicht vorweisen, und die Spötteleien über mich – »Skelett wie ’n Brett« oder »Stange mit Kopf« – entsprachen der Wirklichkeit. Um mich vor Schlägen und Demütigungen irgendwie zu schützen, begann ich, Fetzen, das heißt Spielkarten, herzustellen, das war meine Rettung. Mit der Zeit erlangte ich Fingerfertigkeit, schlug die anderen Bewerber für diese geachtete Arbeit aus dem Feld und fabrizierte pausenlos. In fünf, sechs Tagen hatte ich ein komplettes Gebetbuch (Kartenspiel) fertig und überreichte es den Zockern. Meine Karten gefielen allen, und der oberste Alte hielt fortan die Hand über mich, das heißt, keiner wagte mehr mich anzurühren.
    Im Kinderheim begriff ich zuerst intuitiv, dann mit dem Kopf eine einfache Wahrheit – in jedem Rudel wird gutes Handwerk geschätzt.
    Im Sommer fünfundvierzig wurde ich für mein Talent belohnt und vom Knirps zum Dachs befördert, ein Schritt auf dem Weg zu den Alten.
Kakerlaken
    Von allen Arbeiten, die wir Knirpse für die Alten zu verrichten hatten, war die interessanteste das Einfangen von Kakerlaken. Es war nämlich so, dass die Alten hin und wieder dieses Ungeziefer durch die Ritze zwischen Tür und Fußboden ins Zimmer der verhassten Kröte pusteten. Diese Partisanenoperation galt als gefährlich, und die Eingeweihten bereiteten sich gründlich darauf vor. Unsere Knirpsenpflicht bestand darin, den Alten lebende Kakerlaken zu liefern, und wir taten unser Bestes. Es war Krieg, und die Jagd auf »Preußen« * war uns eine Herzensangelegenheit; wir nahmen keine Kakerlaken gefangen, sondern Faschisten, so dass unsere Begeisterung nie nachließ. Von den schnurrbärtigen Insekten wimmelte es im Haus, besonders in der Nähe von Küche und Speisesaal. Immer auf der Hut vor den Wächtern, trieben wir sie in selbstgemachte Fallen aus Zeitungspapier, fingen sie mit den Händen, lockten sie mit Brotkrümeln in Streichholzschachteln, Flaschen und Ähnliches. Wenn wir einige Zeitungstütchen oder Streichholzschachteln gefüllt hatten, übergaben wir sie den Alten. Die stopften die Kakerlaken in selbstgemachte Papierröhrchen, deren eines Ende flachgeknifft war, und verschlossen das andere Ende mit einem Pfropfen aus kleinen Zweigen oder Papier – und die Granate war fertig. Waren genügend Granaten beisammen, so wurde ein günstiger Moment für den Angriff abgewartet.
    Für gewöhnlich erfolgte die Partisanenaktion an Sonntagen oder roten Feiertagen, wenn die Kröte nicht da war und unsere Wächter soffen. Die Alten schlichensich nacheinander zu Krötes Zimmer, schoben das gekniffte Ende des Papierröhrchens durch die Ritze zwischen Fußboden und Tür, zogen den Pfropfen aus dem anderen Ende und pusteten, auf dem Boden liegend, mit aller Kraft in das Röhrchen. Das gekniffte Ende faltete sich auf, und die Kakerlaken flogen ins Zimmer. Im Sommer bliesen die Alten die Kakerlaken