Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
Festgehaltenen einmal am Tag zu essen). Die Kantine, in der ich mir tags zuvor mit den Führerprofilen Essen verdient hatte, befand sich in einem geräumigen Holzhaus mit Diele und Vortreppe. Nach dem Essen bat ich, zum Klo zu dürfen. Der junge Milizionär, vom Essen träge geworden, ließ mich allein aufs Örtchen gehen und blieb zum Rauchen auf der Vortreppe stehen, von wo er das Holzhäuschen im Blick hatte. Der Abtritt stieß mit der Rückseite an den Zaun des Nachbargrundstücks. Als ich die Tür aufmachte und in der Rückwand über dem Donnerbalken ein in die Bretter geschnittenes Fensterchen erblickte, begriff ich sofort, da passte ich durch. Ich musste hier weg, wollte auf keinen Fall zurück zu Kröte und Geierauge. Durch das verwilderte Nachbargrundstück schlich ich geduckt zur Nebenstraße und ging, instinktiv vielleicht, nicht zur Siedlung, sondern zum Bahngelände, zu den Güterzügen, wo ich vor zwei Tagen angekommen war. Ich schlüpfte unter eine Persenning, mit der eine Selbstfahrlafette abgedeckt war, und verschlief dort verängstigt den restlichen Tag. Dieses Manöver rettete mich, denn sie suchten mich bestimmt in der Siedlung und nicht bei der Militärtechnik. Wieder war ich ihnen entwischt, war meinem Spitznamen aus dem Waisenhaus gerecht geworden – Schatten und Unsichtbar.
Dieser Vorfall lehrte mich, dass es auf großen Stationen mit Bahnmiliz gefährlich war, als Schwarzfahrer in die vorderen Waggons zu steigen oder sie zu verlassen. Die Greifer filzten gewöhnlich zuerst die Spitze des Zuges. Man ging besser um den Zug herum und betrat den Bahnsteig am hinteren Ende. Aber in den letzten Waggon durfte man auch nicht einsteigen, dort lauerte meist ein Schaffner, der auf Eisenbahndiebe spezialisiert war. Was ich bald darauf am eigenen Leibe erfahren sollte.
In der Nacht gelang es mir, einen langsam in meine westliche Richtung rumpelnden Güterzug zu besteigen. Mit ihm fuhr ich bis zum nächsten Bahnknotenpunkt.
Das Erbe des Diebs
Mein leerer Güterzug wurde wieder auf ein Kopfgleis geschoben, und ich ging zum Bahnhofsvorplatz, wo ich mit ansah, wie ein Eisenbahndieb gefasst wurde. Es waren eigentlich zwei, aber vor meinen Augen wurde nur einer gefangen. Fünf Polypen in Zivil jagten die beiden Jungs vom Bahnsteig über den Vorplatz und in die Straßen, die fächerförmig davon abgingen. Hier trennten sich die beiden Diebe. Drei Greifer folgten dem einen, zwei dem anderen in die Nebenstraße. Die drei holten den Dieb ein. Aus dem Gebüsch, wo ich mich verkrochen hatte, konnte ich sehen, wie er sich mit einem Diebstrick fallen ließ, Kobolz schoss und einen der Verfolger über sich hinwegschleuderte, aber die beiden anderen stürzten sich auf ihn und hielten ihn am Boden fest. Als er sichhinwarf, hatte ich bemerkt, wie er etwas ins Gras gleiten ließ. Das war den Polypen im Gerangel entgangen. Nachdem sie den Dieb zum Bahnhof abgeführt hatten, ging ich hin, suchte im Gras und fand zwei zusammengebundene Eisenbahnschlüssel. Später erfuhr ich, dass Waggonschlüssel oder -dietriche, die bei einer Durchsuchung entdeckt werden, einem Dieb die doppelte Haftdauer einbringen. Der zweite Gauner war den Verfolgern wohl entkommen, denn er hatte sich sehr geschickt über den hohen Zaun eines Privathauses geschwungen. So hatte ich zwei Waggonschlüssel geerbt, die mir halfen zu überleben. Ich musste vorsichtig damit umgehen und durfte sie niemandem zeigen. Nach einiger Zeit nähte ich mir für sie ein Beutelchen, das ich mir ans Bein band.
Mein Kumpel Mitja
Während der Fahrt von Kara-Gug zum großen Bahnknotenpunkt Assanowo mit dem überfüllten Personenzug Omsk – Tscheljabinsk, der aus vorsintflutlichen Waggons bestand, lernte ich meinen späteren Reisegefährten und ersten Freund im Leben kennen, und ich gewann ihn mit meinem verwaisten Herzen lieb wie einen leiblichen Bruder. Wir lernten uns an einem ungewöhnlichen Ort kennen, nämlich ganz hinten, im Arrestkabuff des Schaffners. Der Teufel hatte mich geritten, mit meinen Drahtprofilen in den letzten Waggon zu steigen, denn eigentlich wusste ich zu der Zeit schon, dass es gefährlich war. Hier schnappte mich ein unerbittlicher Schaffner und schleppte mich am Kragen ans Ende seinesWaggons, ins Arrestkabuff, in dem schon jemand war. Er stieß mich durch die eisenbeschlagene Tür in den finsteren Knast auf Rädern und brüllte: »Hier hast du einen Kumpan, macht euch bekannt. Euch Bettlerpack liefer ich auf der nächsten Station beim
Weitere Kostenlose Bücher