Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
Soldatenrucksack und ging auf sie los. Da stürzten sie in wilder Flucht davon.
Ein anderes Mal schoss ich, auch zu Mitjas Schutz, einem widerlichen alten Zausel mit meinem Katapult ein Drahtgeschoss gegen den Unterkiefer. Fortan verzog er sich sofort, wenn wir aufkreuzten.
Fledermäuse
Drei Stationen weiter hielt unser polternder Leerzug auf einem Abstellgleis in der Waldsteppenzone. Die Stille weckte uns. Es war Morgen. Alle Gleise waren verstopft mit Zügen wie dem unseren. Mitja und ich mussten den Waggon verlassen, ohne den Eisenbahnern unter die Augen zu kommen, und für ein paar Tage verschwinden. Zu zweit schoben wir die schwere Tür auf und krochen unter unserm Waggon zur Rückseite. Dann schlichen wir unter noch ein paar Zügen durch, bis wir jenseits der Gleise waren. Ich sah einen halben Kilometer hinter der Straße eine Flussbiegung und dahinter einen Hain oder Wald. Wieder war uns das Glück hold – wir würden uns waschen können, sogar baden und vor allem uns für eine Weile verstecken, um dann etwas Essbares zu verdienen und unsere Flucht nach Westen fortzusetzen. Am Fluss angelangt, sah ich in der Nähe ein verlassenes Gebäudedirekt am Wasser und Reste von eingerammten alten Holzpfählen quer durch den Fluss. Solch ein Bauwerk hatte ich noch nie gesehen. Mitja tippte nach meiner Schilderung auf eine alte Mühle. In deren Staubecken wollten wir als Erstes baden, dann wollten wir uns die Mühle angucken, ob wir dort übernachten konnten. Gegen Mittag erschien eine Schar einheimischer Jungen zum Baden. Sie wunderten sich nicht über uns.
»Von einem Zug?«, fragten sie.
»Ja, sie haben uns abgekuppelt.«
»Das ist normal. Manchmal stehen die Züge wochenlang hier.«
Von ihnen erfuhren wir, dass an dieser Stelle mal ein Dorf gestanden habe, das aber schon längst umgesiedelt sei, näher zur Bahnstation, nur die Mühle sei geblieben. Der Wald, so erzählten sie, sei sehr groß und ziehe sich flussaufwärts nach Norden, und früher hätten darin sogar Wölfe gelebt.
Wir schliefen auf dem Dachboden der Mühle. Am frühen Morgen erwachte ich vor Schreck. Durch die leere Fensteröffnung huschten lauter Angst einflößende schwarzgeflügelte Schatten herein und verschwanden im Dämmerlicht unterm Dach. Anfangs glaubte ich, noch zu schlafen und einen sonderbaren, phantastischen Traum zu erleben. Den versuchte ich abzuschütteln, doch es gelang nicht. Das Ding ist gut, dachte ich, ich kann nicht aufwachen, und sie fliegen und fliegen. Ich wälzte mich auf den schlafenden Mitja und begann ihn zu rütteln.
»Kuck mal, kuck mal«, sagte ich, »was ist das?« Ich hatte vergessen, dass er blind war.
»Was rüttelst du mich, ich kann doch nichts sehen außer bisschen Licht«, rief der aus dem Schlaf gerissene Mitja empört. »Meine Oma im Dorf hat von fliegenden Wiedergängern erzählt, aber was du da für Flugviecher siehst, weiß ich nicht.«
Am Tag erzählte uns ein Dorfjunge, das seien Fledermäuse, die den Menschen nichts täten, sie lebten seit Urzeiten auf dem Dachboden der Mühle. In der Nacht machten sie Jagd auf Insekten, und am Tag schliefen sie, mit den Krallen an die Balken geklammert.
Unsere Essvorräte reichten für drei Tage. Drei Tage lang schliefen wir, badeten, aalten uns in der Sonne und bereiteten uns auf unsere gemeinsamen Auftritte vor. Ich hatte den Ehrgeiz, das Profil des Führers am Ende von Mitjas Lied fertig gebogen zu haben, nicht davor und nicht danach. Endlich klappte es genau.
Erlaubt – nicht erlaubt
Am vierten Tag mussten wir losziehen zum Bahnhof, um Brot zu verdienen. Es war ein ziemlich großer Bahnhof mit einem Restaurant, das selbst auf dem Bahnsteig tische stehen hatte. Der weiträumige Vorplatz war voller Fahrzeuge und Fuhrwerke, auch voller Menschen, die ihre Frontsoldaten abholten oder zum Zug brachten.
Unsern ersten gemeinsamen Auftritt hatten wir auf dem Bahnhofsplatz, und wir kamen gut an. Ich wurde zum ersten Mal gebeten, als Zugabe das Profil Lenins zu biegen, und Mitja sollte noch die »Katjuscha« singen. Es gefiel den Leuten. Sie gaben uns zu essen und packtenuns Lebensmittel zum Mitnehmen ein. Nach zwei tagen Arbeit wurden wir zu einer Sehenswürdigkeit. Die Jungs, die zum Fluss baden kamen, prahlten überall damit, dass sie uns kannten.
Am dritten Tag durften wir auf dem Bahnsteig auftreten und wären beinahe der Bahnmiliz in die Hände gefallen. Die Büfettfrau wusste von den Jungs, die uns nicht von der Seite wichen, wer wir waren, und erlaubte
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