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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Idee. Das wäre so, als würde Österreich den USA den Krieg erklären.«
    Jetzt also lag die USA in Hundeform mit gebrochenem Genick im 15. Bezirk. Spön hob die Vorderbeine des Hundes hoch und ließ sie wieder fallen, zog ihn ein Stück an den Hinterbeinen und setzte sich dann neben das tote Tier auf den Gehsteig. Er rieb sich das Bein und seufzte. Bei einem Radunfall auf der Argentinierstraße hatte er sich den Fuß verletzt. Durch den Sturz war die Achillessehne gerissen, fast ein Jahr schon machte er jetzt zweimal wöchentlich Gymnastikübungen bei einer Physiotherapeutin in Ottakring. Beim ersten Besuch in der Praxis wurde er gleich von einem bayerischen Gebirgsschweißhund begrüßt, worauf er mit den Krücken auf der Stelle umdrehte, doch die Therapeutin hatte ihn schon gesehen und sperrte den Hund weg. »Kommen Sie rein«, hatte sie lächelnd gesagt, und Spön war verloren.
    Heidi half ihm auf die Beine, und Spöns Liebe zu ihr wurde seine neue Achillesferse. Der alte Gebirgsschweißhund starb, und sie nahm sich einen irischen Wolfshund, der traurige Tränensäcke hatte, weshalb sie ihn Derrick taufte. Wenn Spön bei Heidi übernachtete, bestand er darauf, dass Derrick in einem anderen Raum schlief. Er schloss das Hundezimmer stets von außen ab und Heidis Schlafzimmer von innen zu – »sicherheitshalber«.
    Da er bei Heidi trotzdem nicht gut schlief, schickte er mir nachts oft eine SMS: Noch unterwegs?
    Wir trafen uns dann manchmal und schlenderten durch die Stadt. Spön brach im Vorbeigehen Antennen und Scheibenwischer von Autos ab, zerkratzte deren Lack und das Glas der Rückspiegel. Triumphierend wedelte er anschließend mit dem Scheibenwischer in der Hand und skandierte »Macht kaputt, was euch kaputtmacht!« Der schmächtigste Architekt Wiens war wütend auf jedes einzelne Auto, denn der Fahrer, der an seinem Radunfall auf der Argentinierstraße schuld war, hatte Fahrerflucht begangen. Spön hatte das Auto gar nicht gesehen, das ihm die Vorfahrt nahm, deshalb konnte es theoretisch jedes Auto der Stadt sein. Der friedliche Spön – sanft, wenn Heidi ihn liebkoste, schrecklich, wenn man ihn reizte.
    Auf einem unserer nächtlichen Demolierungsstreifzüge zeigte er mir die französische Botschaft am Schwarzenbergplatz, die eigenartig orientalisch wirkt. »Weil die Pläne vertauscht wurden, damals in Paris. Diese Botschaft hier war eigentlich für Konstantinopel vorgesehen und die, die in Konstantinopel steht, für Wien. Schlampert waren sie, die Franzosen der Jahrhundertwende«, erklärte er.
    Als wir wenig später vor der Roßauer Kaserne standen, behauptete Spön, dass man dort bei der Planung die Toiletten vergessen hätte. »Alles war da, an alles hatte man gedacht: Stuben, Waffenkammern, Wachzimmer, Exerzierplätze – alles. Aber bei der Eröffnung musste wer pinkeln, und da war guter Rat teuer. Wie bei dem jüdischen Witz, wo der Gast den Kellner kommen lässt und sich beschwert: ›Kosten Se de Suppe!‹ ›Ist die Suppe kalt?‹, fragt der Kellner. ›Kosten Se de Suppe!‹, wiederholt der Gast. ›Fehlt Salz? Ist zu viel Salz in der Suppe?‹, fragt der Kellner, aber der Gast sagt wieder nur: ›Kosten Se de Suppe!‹ Der Kellner gibt auf und will die Suppe kosten. ›Aber Sie haben ja gar keinen Löffel!‹, ruft er aus.«
    »›Äh!‹, sagt der Gast«, vervollständigte ich den Witz. »Trotzdem glaub ich die Geschichte mit den Toiletten nicht.«
    In einer anderen Nacht gingen wir zu Fuß auf die Baumgartner Höhe, die psychiatrische Klinik im 14. Bezirk. Der Mond stand hell am Himmel, und wir sahen die Krähen nach Schönbrunn fliegen. Hunderte von schwarzen Schatten flatterten von einer Seite des Wientals auf die andere, so wie sie es jeden Tag machen. Hin und wieder her. Durch ein Loch im Zaun betraten wir das Klinikgelände. Vorsichtig schlichen wir uns zur Otto-Wagner-Kirche, die gerade umgebaut wurde. Wir robbten unter dem Bauzaun durch, schoben ein großes Brett zur Seite und gelangten hinein.
    »Schau«, sagte mein zierlicher Architekturführer, als wir in der Jugendstilkirche standen. »Am Boden. Siehst du das?« Mit einem Feuerzeug leuchtete er zwischen die Kirchenbänke. »Pissrinnen. Genial, was? Wagner hat hier Pissrinnen installiert, weil die Patienten während des Gottesdienstes oft in die Hose gemacht haben. Aus Angst vor Gott und auch, weil die Harnröhren bei denen gern schon mal durchdrehen. Eine gute Idee, was?«
    »Vielleicht haben sie die Pissrinnen vertauscht. So wie

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