Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
umbringen, aber es war ihm wichtig, andere mitzureißen. Die im anderen Auto haben schwer verletzt überlebt. Er auch. Aber nach dem Crash saß er im Rollstuhl und ein paar Jahre im Gefängnis.«
»Hat er jetzt wieder einen Behindertenparkplatz?«
»Ja. Aber kein Auto mehr«, keuchte Spön und stolperte. Er ließ den Hund fallen, der auf die harten Steinstufen fiel. Es krachte. Die Vorderpfote stand rechtwinklig ab. Der tote Hund hatte sich ein Bein gebrochen.
Wir setzten uns neben Derrick auf die Stiege und atmeten durch.
»Heidi wird furchtbar traurig sein«, sagte er.
»Ja, das wird sie«, sagte ich.
»Kennst du die Geschichte, wie der Otto Grünmandl beim Trinken sein Gebiss verliert?«, fragte Spön. Er verehrte den Tiroler Kabarettisten und Volksschauspieler.
»Wahre Geschichte?«, fragte ich.
»Ist das wichtig?«, fragte er zurück und zuckte mit den Schultern. »Wahre Geschichte«, fuhr er fort, »ist wirklich so passiert. In Kärnten war der Grünmandl mit Freunden abends im Wald spazieren. Sie hatten alle vorher schon was getrunken und tranken im Gehen weiter. Irgendwann war der Gründmandl sturzbetrunken, verschwand im Unterholz und übergab sich. Die anderen führten ihn ins Hotel und legten ihn ins Bett. Am nächsten Morgen kam der Grünmandl mit eingefallenem Schrumpelmund ins Frühstückszimmer und sagte, dass beim Speiben wohl sein Gebiss rausgefallen sei. Keiner konnte sich aber mehr erinnern, wo sie spazieren gewesen waren. Doch der Wirt hatte einen Freund mit einem Suchhund, einem Rettungshund. Der nahm beim Grünmandl Witterung auf und verschwand danach mit seinem Herrchen im Wald. Nach zwanzig Minuten kommt der Hund mit dem angespiebenen Gebiss im Mund zurück, der Grünmandl jubelt über seine Zähne, streichelt den Hund, zerrt ihm sein stinkendes Gebiss aus dem Maul und steckt es sich selber hinein!«
»Uah«, rief ich angewidert.
»Ja, ein echter Tiroler halt. Nicht so ein kapriziöser Städter wie du. Ein rescher Mann aus die Berg!«, sagte Spön und sprach »Berg« wie ein Tiroler aus. Laut und grollend. Tirolerisch kann man nicht leise sprechen. Auch nicht, wenn man seiner Angebeteten die Liebe gesteht. Man brüllt verliebt: »I kchann di guat leiden. Kchimm her, dass i di busseln kchann!« Jedes »K« kracht wie eine Lawine aus dem Mund, da fällt es schwer, romantisch daherzureden.
»Sich vollgekotzte Gebisse in den Mund zu stecken ist ein Zeichen für Naturverbundenheit? Ich weiß nicht. Und es waren die dritten Zähne. Ich hab noch meine zweiten. Alle. Das ist Naturverbundenheit«, erwiderte ich. »Kchapiert?«
Zehn Minuten später hatten wir den Wolfshundkoloss in der Speis von Spöns Wohnung abgelegt, einem kleinen Vorratsraum hinter der Küche. Da lag er nun zwischen leeren Flaschen, Schlammpackungen vom Toten Meer und alten Ausgaben der Zeitung Täglich Alles , die es schon seit Jahren nicht mehr gab. »Einmal alles«, hatten die Leute früher gesagt, wenn sie die Zeitung in der Trafik verlangten. Kein bescheidener Wunsch.
Spöns Wohnung machte einen verheerenden Eindruck. Seit sechs Jahren arbeitete er mit zwei anderen Architekten in seinem kleinen Wohnbüro, aber außer kleinen Umbauarbeiten in Wohnungen von Freunden und ewigen Modellbauten für Ausschreibungen lief so gut wie nichts.
»Ich hab mir selbst das Coop-Himmelblaue vom Himmel versprochen«, umschrieb Spön seine Situation gern. »Aber ich bau nichts. Ich bin wirklich ein interessanter Architekt: Ich hab mir mit dem Architekturstudium mein Leben verbaut – das einzige Bauwerk, das ich herzeigen kann.«
Deshalb arbeitete er nebenher als Fahrradbote. Dabei war auch der Unfall passiert, als er vom Hundertwasserhaus Unterlagen ins ORF-Funkhaus bringen sollte. »Das Hundertwasserhaus. Warst du da schon einmal drin?«, fragte er mich. »Bei der Eröffnung zeigte Hundertwasser den Besuchern stolz den unebenen Boden. Dann ist er gestolpert und hat sich in seinem innovativen, fantastischen Wunderhaus die Bänder gerissen. Schon nach wenigen Schritten.«
»Brauchst du mich noch? Frank kommt heute mit ’s Gütli zu uns zum Abendessen«, erwiderte ich, nachdem wir ein Tischtuch über den Riesenhund gelegt hatten. Ich war klitschnass und hatte eine Risswunde an der Hand, weil ich bei der letzten Stufe abgerutscht und in Derricks Gebiss geraten war. Nun ja, besser von einem toten als von einem lebendigen Hund gebissen werden.
»Nein, danke dir. Allein hätt ich das nie geschafft. Vielleicht sollte Frank über
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