Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Italienisch.«
»Ich war mit Guido mal in Berlin. Er hat in seinem besten Hochdeutsch einen Einheimischen nach dem Weg gefragt, und der Berliner hat ihm auf Englisch geantwortet. Das hat ihn sehr getroffen«, erwähnte Frank.
»Überlassen wir ihm die Entscheidung«, sagte ich. »Und ich frage Ben.« Ich wandte mich an Sophie. »Wenn ein Italiener für euch aufläuft, kann auch ein Namibier für uns spielen.«
Sie schüttelte den Kopf und streichelte mir übers Haar, so wie man ein schönes, seltenes Tier streichelt. »Egal, was du anstellst«, sagte sie, »ihr werdet euer zweites Córdoba erleben. Stimmt’s, Gütli?«
»Jawohl«, sagte ’s Gütli, wischte sich den Mund ab und schleckte die aus den Palatschinken gequollene Marillenmarmelade von den Fingern. »Isch guat gsi. Trinken und Essen sind Prosa, Spiel ist Poesie.«
»Ich werde Ben fragen und Jan suchen. Spön muss sich um sein Team selbst kümmern«, sagte ich.
Frank erklärte sich sogar bereit, die deutsche Botschaft um Trikots zu bitten. Ich wusste, wie groß seine Abneigung gegen die bayerischen Beamten war, aber die Zeit drängte. Es war der 10. Juni, uns blieben elf Tage bis zu Roberts Geburtstag. Ich holte die Flasche Killepitsch, einen Kräuterbrandlikör und eines der wenigen Produkte meiner rheinischen Heimat, das in meiner Wiener Wahlheimat Liebhaber gefunden hatte.
Mit dem Killepitsch, der sich noch immer in meinen Synapsen befand, trat ich am nächsten Tag auf die Straße. Es war sehr windig, das half gegen meinen Kopfschmerz. Chicago trägt den Beinamen »Windy City«, aber Wien würde Chicago in einem Contest glatt wegpusten. So wie das Wetter in Hamburg genauso schlecht ist wie in London, nur nicht so berühmt, so verhält es sich mit Wien und dem Wind, vor allem am Stephansplatz, dem Zentrum der Stadt und dem Auge des Winds. Sophie ist der Meinung, der Stephansdom stünde dort nur, damit man sich bei stürmischem Wind dran festhalten kann.
Durch den Wind ist die Wiener Luft gut, nicht so wie in Frankfurt, wo sie schwer und abgestanden zwischen den Wolkenkratzern hängt. Es gibt auch keinen Föhn wie in München oder Innsbruck, wo die Menschen sich dann gegen die Schläfen trommelnd aus den Fenstern oder von den Bergen stürzen. Wien hat das Wetter der ungarischen Steppe: kalt im Winter, warm im Sommer, dazwischen Wind.
Ich sah auf die Uhr. »Gleich neun!«, rief ich, ohne hinaufzusehen.
»Wie spät ist es?« Ich war der Wie-spät-ist-es-Frau zuvorgekommen.
»Gleich neun!«, brüllte ich. Sofort tat mir der Kopf wieder weh.
Mein Blick fiel auf einen Hundehaufen vor unserer Haustür. Darin steckte eine kleine deutsche Fahne, wie sie in Eissalons verwendet wird.
»Haben Sie gesehen, wer das war?«, rief ich zum Fenster hinauf.
»Wie bitte?«, rief die Wie-spät-ist-es-Frau zurück.
»Haben Sie gesehen, wer seinen Hund hier zum Scheißen hingesetzt und das Ganze dann so nett dekoriert hat?«
»Wie spät ist es, bitte?«, fragte sie. Ich ließ es sein. Es war hoffnungslos. Sollte in meiner Gasse ein Mord geschehen, wünschte ich den ermittelnden Polizisten viel Vergnügen mit dieser Zeugin.
Ben wartete an der U-Bahnstation auf mich. Ich erzählte ihm von dem Fähnchen vor meiner Tür. Er lachte. »Sicher Zufall«, meinte er.
Ben kam aus Lüderitz in Namibia. Der Ort war benannt nach dem Bremer Kaufmann Franz Adolf Eduard Lüderitz. Ben war mein Zahnarzt. Er war wie Lüderitz ebenfalls in Bremen aufgewachsen und sprach hanseatisches Hochdeutsch. Enttäuschenderweise wusste er fast nichts mehr in seiner Heimatsprache Khoekhoegowab. Immerhin konnte er darin zählen. Wenn er zu seiner Assistentin zum Beispiel sagte: »Der Vierer oben links«, fragte ich ihn: »Vier?« Und er antwortete: » Haka .« » Kaisa aio «, sagte ich dann. »Vielen Dank.« Das war das Einzige, was ich auf Hottentottisch sagen konnte, der Sprache der Khoikhoi. » Khoikhoi « bedeutet »Menschen«, erzählte mir mein Zahnarzt. Er war, wie fast alle Deutschen, die ich kannte, zum Studium nach Wien gekommen. Ben hatte in der Implantologie bei Professor Fürhauser studiert.
»Fehlten bei euch manchmal historische Instrumente?«, fragte ich ihn einmal.
»Nein, wieso?« Er blickte mich irritiert an.
»Nur so«, wiegelte ich ab.
Wir stiegen in die U4 Richtung Hütteldorf. Die U-Bahn war gut gefüllt, eine große Reisegruppe war auf dem Weg zum Schloss Schönbrunn. Zwei Polizisten kamen auf uns zu. Mich ignorierten sie, vor Ben stellten sie sich breitbeinig auf.
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