Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Deutschen Gottfried Stahl auf der Insel. Zehn lange Jahre, in denen sie von Österreich komplett im Stich gelassen wurden. Das war’s. Die erste und einzige österreichische Überseekolonie wurde irgendwann stillschweigend aufgelöst.«
»Warum hat denn ein Deutscher die Führung übernommen?«, fragte Sophie ungehalten, während sie die erste Palatschinke aus der Pfanne hob. »Versteh ich nicht. ›Stahl‹, das klingt schon so unsympathisch. Da haben die Einheimischen sicher keine Freude gehabt. Mit österreichischem Charme wär da bestimmt was gegangen. ›Grüß Gott, der Herr, wie steht’s, gnä Frau?‹ Dann heiraten, und schwups, ist Nankauri der 24. Wiener Gemeindebezirk.«
Sie legte die Palatschinke auf einen Teller und bestrich sie mit Marillenmarmelade. »Wer möchte die erste haben? Ich!« Sie lachte und verspeiste genussvoll den dünnen Pfannkuchen. »Schade, dass wir keine Marine mehr haben. Und keine feschen Matrosen«, sagte sie mampfend.
»Hattet ihr bis vor kurzem noch. Seit 1918 ist Österreich ja ein Binnenland«, sagte Rocco.
»Und ich bin binnenkrank. Ich kann nur auf hoher See leben«, warf ich ein, aber niemand lachte. Ein misslungenes Dessert, ein misslungener Witz – irgendwie konsequent.
»Trotzdem behielt Österreich seine Marine. Bis 2006! Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nämlich eine Patrouillenbootsstaffel, um die Donau zu sichern. Zwei Boote: die Oberst Brecht und die Niederösterreich . Die eine hatte sechs Mann Besatzung, die andere neun. Also nicht gerade Flugzeugträger, aber geschwommen sind sie immerhin, und leicht bewaffnet waren sie auch. 2006 war dann Schluss damit, seitdem stehen sie im Heeresgeschichtlichen Museum. Das war’s. Keine Marine mehr. Nach über 200 Jahren.«
»Irgendwie traurig«, brummte Frank, der als Ostfriese von uns allen die größte Nähe zum Wasser hatte. »Hätt man ruhig behalten können. Wer weiß, durch den Klimawandel liegt Österreich vielleicht bald wieder am Meer.«
»Hast recht«, warf’s Gütli ein. »Die Eurofighter haben wir ja auch. Wenn die Piloten kurz Gas geben, haben sie den österreichischen Luftraum verlassen. Ich kenn mich da aus. Tatjana hat einen Freund mit einem Sportwagen, der hat in Vaduz einmal Gas gegeben, und schon wir waren in der Schweiz.«
»Kein Wunder. Liechtenstein ist nicht mal 25 Kilometer lang«, sagte Rocco. Unglaublich, was er alles wusste. Er hatte in Schuberts Sterbehaus allerdings nicht allzu viel zu tun. Schubert war tot, und die meisten Schubertianer, die das Haus besuchten, fanden sich allein zurecht; sie lasen Schuberts letzten Brief und hörten sich mit Kopfhörern Schubert-Lieder an. Rocco hatte also viel Zeit zum Lesen. Bücher aus den Beständen des Wien-Museums türmten sich auf seinem Schreibtisch.
»Spön hat Guido gefragt«, sagte ich. »Guido ist Südtiroler. Wenn Guido für Österreich spielt, geht Ben als Deutscher durch.«
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragte Sophie. »Das ist doch egal. Ich dachte, das ist ein Spiel!«
»Natürlich. Aber es macht keinen Spaß, wenn man’s nicht ernst nimmt«, entgegnete ich voller Überzeugung.
»Fußball ist kein Spiel auf Leben und Tod. Es ist viel mehr als das«, sagte Frank.
»Wir leben alle auf dieser Erde, aber auf verschiedenen Spielhälften«, ergänzte ich. »Wir müssen festlegen, wer wo steht. Robert und Spön sind im österreichischen Team. Auch Franz, Merchant und Doron, außerdem die Zwillinge – die müssen wir jetzt alle endlich mal fragen. Wenn Guido bei denen mitspielt, ich meine, ein Südtiroler – das ist ja purer Revanchismus. Das geht irgendwie nicht, dass ein Südtiroler für Österreich spielt.«
»Österreich ist die Schutzmacht der Südtiroler. Damit die bösen Italiener denen nichts tun«, sagte Rocco. »Dein ORF hat dort sogar ein Landesstudio, und auf der Wetterkarte in den Nachrichten war bis vor kurzem auch immer das aktuelle Wetter in Bozen und Meran zu sehen.«
»Na und? Vielleicht ist das Wetter dort besser, dann hebt das die Laune der Zuschauer«, erwiderte Frank.
»Guido ist in Bozen in die deutsche Schule gegangen, die war mit Stacheldraht getrennt von der italienischen nebenan. Ich habe ein Foto gesehen von seinen Eltern in Bozner Tracht. Sein Vater mit roter Weste, Goldknöpfe bis zum Hals, langer, brauner Lodenmantel, breitkrempiger Hut. Sieht cool aus. Seine Mutter hat ganz viele Bänder am Bauch und eine blaue Schürze über dem dunklen Rock. Seine Eltern sprechen praktisch kein Wort
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