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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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»Können Sie sich ausweisen?«, fragten sie.
    »Wie, muss man das jetzt auch schon selber machen?«, erwiderte Ben, und viele im Waggon lachten laut auf.
    In der Längenfeldgasse stiegen wir aus. Zwei Junkies standen am Ausgang. Als sie Ben sahen, torkelten sie auf uns zu. »Heast, Oida. Host wos? I wü wos!«
    »Tut mir leid, Jungs. Ich hab nichts«, sagte er.
    Wir gingen weiter zur Ampel. »Ich könnt ein Vermögen verdienen, wenn ich dealen würd«, meinte Ben. »Ich müsste nicht mal Werbung machen. Es reicht, schwarz zu sein. Das ist für die Drogentypen so ähnlich wie ’ne rote Lampe am Puff.«
    »Ich hoffe aber schon, dass du irgendwelche Drogen hast. Ich lass dich sonst nicht bei mir bohren«, sagte ich.
    Wir gingen in die Dentalklinik, wo Ben sich um meinen »Koro« unten kümmerte. Als wir fertig waren, fragte ich ihn mit von der Betäubungsspritze noch bamstiger Backe: »Am 21. Bist du dabei? Ich sammle Deutsche für das Spiel.« Ich klang wie nach einem Schlaganfall.
    »Ich weiß nicht. Meine Vorfahren wurden in Deutsch-Südwestafrika von euch in die Wüste gejagt, und jetzt soll ich meine Knochen für euch hinhalten? Gegen meine Gastgeber? Okay, wenn du das Wort sagst, mach ich’s. Zwölf T.«
    »Komm, das ist bescheuert«, sagte ich. Speichel floss unkontrolliert durch meine gefühllosen Lippen.
    »Ich warte.« Er war unbarmherzig. »Gui, gam, nona!«
    »Hottentottentittenattentat!«, rief ich. »Zwölf T.«
    »Alles klar, Massa. Für zwölf T mach ich mit«, sagte mein Zahnarzt. Meine Mannschaft nahm Gestalt an.
    Ich fuhr mit der U-Bahn zurück zur Kettenbrückengasse. Beim Marktamt stand der Mann mit dem rosafarbenen Nickihöschen, den Hund im Arm. Er winkte mir zu. Irgendetwas hielt er in der Hand. Als ich näher kam, sah ich, dass es eine kleine deutsche Papierfahne an einem Zahnstocher war. Der Nickimann streckte seinen kleinen Po raus und tat, als würde er ein Häufchen machen. Dann warf er sich die Haartolle zurück, kicherte wie ein krankes Huhn und stolzierte triumphierend davon.
    »Vollidiot!«, schrie ich ihm nach. Er wippte in den Hüften und winkte mit dem Mittelfinger.
    Obwohl meine Backe noch immer betäubt und angeschwollen war, beschloss ich, Jan zu suchen. Ich ging über den Naschmarkt.
    »Kosten Sie, kosten Sie, kosten Sie«, kam es von rechts und links. Falafeln, Beeren, Schinken, Käse, Nüsse. Ein Spießrutenlauf durchs Angebot. Mittlerweile war der Naschmarkt eher zur Fressmeile geworden. Immer mehr Lokale hatten aufgemacht, immer mehr Stände verschwanden. Eines der vielen asiatischen Restaurants hatte in sein Fenster geschrieben: Bei uns wird der Fisch »frisch« zubereitet . Jedes Mal, wenn ich dran vorbeikam, überlegte ich, ob ich hineingehen sollte, um ihnen zu erklären, dass die Anführungszeichen unglücklich gesetzt waren und man als Kunde das Gefühl hatte, in beunruhigend stinkenden Fisch beißen zu müssen. In Prag war ich einmal an einer Pizzeria mit Pizza-Lieferservice vorbeigefahren, »Pizza go home« hieß die. Das war auch nicht gerade verkaufsfördernd. In der Nähe von Spöns Wohnung, am Urban-Loritz-Platz, warb ein Friseur mit einem Totenschädel, auf dem eine blonde Perücke saß. Eternal beauty verkündete ein Schild daneben. Das war immerhin originell.
    Ich ging weiter, passierte die diversen Bäckereien, Gewürz- und Kräuterstände, das Käseland und die Palatschinkenkuchl und erreichte den Fischbereich. In einem Bottich schwammen Forellen. Als ich vorbeiging, sprang eine heraus und zappelte auf dem Boden.
    »Machen Sie sich kane Sorgen«, grunzte der Fischverkäufer. »Die will zum Bus.«
    Ein Pferdefleischhauer hackte mit einem Beil in ein großes Stück Fleisch. Mir fiel ein, dass das Ambulatorium am Fleischmarkt fast genauso alt war wie der Sieg in Córdoba. Fleischmarkt 26 – auch keine gut gewählte Adresse für eine Abtreibungsklinik, fand ich. Inzwischen hieß es »pro:woman Ambulatorium«. Welche Bedeutung die Doppelpunkte hatten, war unergründlich.
    Mir war entfallen, ob Spön und seine Freundin Petra damals, zu Beginn meines Wiener Lebens, zum Fleischmarkt gegangen waren, oder ob er das merkwürdige Angebot angenommen hatte.

Petra war die Blonde, die ich zusammen
    mit Toni nach der Party in der Schleifmühlgasse die Treppe runtergetragen hatte.
    Meine Karriere beim ORF war früh ins Stocken geraten. Ich hatte zusammen mit dem Tiroler aus der Jugendredaktion einen gewaltigen Flop fabriziert. Wir hatten den Anruf eines fast

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