Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
feiner Mensch, der Herr Doktor. Selbstverständlich können Sie hier anfangen, er verbürgt sich für Sie, Sie sind Historiker, das passt wunderbar. Herzlich willkommen, Sie gehören ab jetzt zur Familie.«
Roccos Büro war in einem winzigen Zimmer der Sterbewohnung, dort saß er nun und wartete auf Besucher. Die Brille hatte er immer im Blick, nach der fragten die Besucher häufiger als nach Schuberts Klavier. Zu Mittag schloss er das kleine Museum und ging in der »Goldenen Glocke« Mittagessen. Wenn er die Kettenbrückengasse überquerte, hörte er die Wie-spät-ist-es-Frau, im Gastgarten saß er vor dem Wandgemälde, auf dem der junge Schubert zu sehen war. Die Brille saß auf Schuberts Nase.
Das Passionsfruchtsorbet, das ich am
Vortag eingefroren hatte, war misslungen. Ich hatte viel zu viel Campari verwendet. Das Sorbet war flüssig.
»Egal. Dieser Chichi-Schmafu ist eh Mist«, sagte Frank und löffelte die Sorbetcamparisuppe allein aus. Der Campari schmeckte ihm, die Früchte dazwischen störten ihn nicht.
»Was ist jetzt?«, fragte ’s Gütli. »Tschutta?«
»Hä?«, fragte ich.
»So nennen wir im Ländle das Kicken. Bleibt’s dabei?«
Wir nickten. Tschutta. Ich erinnerte mich an eine Fußballübertragung im ORF, die ich mir vor Jahren zusammen mit Robert angesehen hatte: ein Europacupspiel zwischen Rapid Wien und dem belgischen Club RSC Anderlecht. Das Spiel fand im Herbst statt. Es herrschte dichter Nebel, der Bildschirm des Fernsehers war völlig weiß, nicht einmal schemenhafte Umrisse waren zu sehen. Wir schauten uns das Spiel trotzdem komplett an, obwohl auch der Kommentator nichts sehen konnte. Nach siebzig Minuten sagte er plötzlich: »Ich höre gerade von einem Kollegen am Spielfeldrand, es scheint einen Elfmeter gegeben zu haben. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, für wen, und auch nicht, ob der Elfmeter verwandelt worden ist!«
»Ist das noch Leidenschaft oder schon ein Fall für die Psychiatrie?«, fragte Robert mich damals.
»Dass wir uns das Spiel ansehen, ohne es anzusehen? Ich würde sagen, es handelt sich hier um die Leidenschaft für die eigene Macke«, antwortete ich. »Das Schöne ist, dass man sich durch den Nebel selber ausmalen kann, was vielleicht auf dem Platz gerade geschieht.«
»So sollten alle Spiele sein. Im Nebel. Und wir behaupten dann einfach, dass wir gewonnen haben. So kann Österreich doch einmal Weltmeister werden. Richtiger Weltmeister und nicht nur im Vernebeln von Torchancen. Wir sollten ausschließlich bei Nebel spielen.«
»Oder bei Schnee und bergab«, schlug ich vor.
Ihm zum vierzigsten Geburtstag das Fußballspiel zwischen unseren deutschen und österreichischen Bekannten zu schenken hatte auch ich vorgeschlagen. Robert’s own private Córdoba.
»Wie viele seid ihr denn bis jetzt?«, fragte Sophie, die ein paar Palatschinken machte, damit niemand ohne Nachtisch blieb.
»Frank, Rocco und ich«, antwortete ich, etwas zerknirscht wegen meiner Dessertpleite. »Jan versuch ich auch noch aufzutreiben. Ben vielleicht – obwohl ich nicht genau weiß, ob das in Ordnung ist. Ben ist ja gar kein Deutscher. Gut, er ist in Bremen aufgewachsen, aber in seinem Pass steht Namibia .«
»Ich find, das geht«, sagte Frank. »Das war doch mal ’ne deutsche Kolonie. Warum gab’s eigentlich keine österreichischen Kolonien? Österreich hatte doch früher eine Marine. Aber keine Kolonien.«
»Das ist doch äußerst sympathisch. Österreich hat sich früher eher so eingeheiratet, wenn man wachsen wollte. Im sicheren Hafen der Ehe, verstehst du? Statt irgendwo auf hoher See fremde Völker zu erobern«, sagte ich.
»Na ja«, meinte Rocco, der Historiker, »es gab schon eine österreichische Kolonie. Aber nur kurz. Maria Theresia hatte den Auftrag zur Gründung einer Österreichisch-Ostindischen Handelskompanie gegeben. Von Livorno aus fuhr das Kriegssegelschiff Joseph und Theresia 1776 nach Goa. Dort tauchten aber englische Kriegsschiffe vor ihm auf, und das stolze österreichische Schiff drehte sofort ab. Und so wurde stattdessen zwei Jahre später auf der Insel Nankauri auf den Nikobaren die dort wehende dänische Flagge eingeholt und dafür die österreichische gehisst.«
»Wow«, sagte ’s Gütli, die aus einer Kaufmannsfamilie stammte und wie alle Alemannen ein Geschäft roch. Kolonien rochen nach Seide, Gewürzen und Unfair Trade.
»Und? Was ist passiert?«
»Eigentlich nichts. Sechs Siedler wurden dort abgesetzt und blieben unter der Führung des
Weitere Kostenlose Bücher