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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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unterbrach sich und drehte wütend den Kopf zur Saloontür. »Jetzt mach doch mal endlich jemand diese verdammte Tür zu! In dieser Zugluft hole ich mir ja den Tod!« Brüllend stand er auf und bewegte sich schimpfend zum Ausgang. »Wollen diese Hunde mich umbringen? Ich Ärmster unter den Ärmsten, kein Ticket fürs Leben will man mir geben. Universelle Türsteher lassen mich nicht rein.«
    Er hüstelte und zog sich seinen speckigen Schal eng um den Hals.
    »Weißt du, wo ich Jan erreichen kann?«, fragte ich, und augenblicklich kam Leben in den sterbenden Borg.
    »Jan, die Blume des Saarlands. Der Schmuck meines wundstarren Blicks. Warte, welchen Ort verschönert er zurzeit? Er kellneriert am Donaukanal in diesem neuen Strandlokal. Wenn du ihn besuchst, dann grüße ihn von seinem nichtsnutzigsten Bewunderer. Träte er nach mir, seine Schuhe müssten sich von mir abwenden. Siehst du, wie mich schaudert? Nur bei Nennung seines Namens?«
    Jan lebte seit fünfzehn Jahren in Wien. Er war in Saarbrücken aufgewachsen, gleich neben der Brücke, die nach Frankreich führte. Sein Vater war Deutscher, seine Mutter Französin. Jan hatte die doppelte Staatsbürgerschaft und durfte auch in beiden Ländern wählen. Er wählte in Frankreich Grün und in Deutschland Grün, und in Österreich, bei den Bezirkswahlen, bekam die grüne Abgeordnete im 14. Bezirk seine Stimme. »Wenn deine Grünen in Österreich in die Regierung kommen, werden die Asylbewerber nicht mehr mit dem Flugzeug nach Hause geschickt, sondern mit dem Solarmobil«, ärgerte ich ihn gern.
    Jan wollte sich sogar einmal für die Grünen im 14. Bezirk aufstellen lassen, aber er bekam keine einzige Stimme von den anderen Grünen in Hütteldorf.
    »Das hätte ich dir vorher sagen können«, sagte eine Parteifreundin zu ihm. »Ein Deutscher! Nein, mein Lieber, das schaffen wir schon selbst.«
    »Aber ihr habt jetzt einen Syrer gewählt.« Jan war tatsächlich gekränkt.
    »Ja, warum denn nicht. Willst du jetzt rassistisch argumentieren? Selbstverständlich ist Aziz ein großartiger Kandidat fürs Bezirksparlament.«
    »Aber Aziz kann nicht mal Deutsch!«
    »Siehst du. Genau deswegen wählen wir hier keine Deutschen. Es ist echt zum Speiben. Willst du ihn in ein Lager sperren, weil er kein Deutsch kann?«
    Und schon galt Jan als rechter Hardliner innerhalb der Grünen im 14. Bezirk. Aziz stimmte später im Bezirksparlament gegen ein Sozialprojekt für Immigranten, weil er den Antrag nicht verstanden hatte.
    Jan wohnt in der Lautensackgasse, in einem windschiefen kleinen Jahrhundertwendehaus, das er selbst renoviert hat, gemeinsam mit einem Ukrainer vom Arbeitsstrich beim OBI-Baumarkt auf der Triester Straße. Regelmäßig standen dort große Männergruppen vor dem Eingang, man sprach einen an und nahm ihn gleich mit in den Baumarkt zum Einkaufen. Jan hatte Aleksey angesprochen, einen blonden Hünen mit kurzem Hals und breitem Kiefer, der schon staubig aussah, bevor die Arbeit überhaupt begonnen hatte.
    Aleksey war schweigsam. Jan sprach kein Russisch, also hielt er die Kommunikation auf Sparflamme. Als sie mit den Materialien und Werkzeugen in der Lautensackgasse angekommen waren, öffnete Jan zwei Schwechater Bierflaschen und stieß mit Aleksey an. »Ich heißen Jan. Name. Du?«
    »Ich heiße Aleksey. Ich komme aus Brody, der Heimat von Joseph Roth. Kennen Sie Hiob ? Ein unglaublich trauriges Buch.«
    Never judge a book by it’s cover , dachte Jan. Aleksey hätte jederzeit für die Grünen in Hütteldorf antreten können und den Bezirksrat anschließend rhetorisch aufgemischt.
    Die Lautensackgasse ist beim Baumgartner Spitz, wo sich Linzer Straße und Hütteldorfer Straße die Hand reichen würden, hätten sie eine. Gleich daneben steht das Hanappi-Stadion. Rapid Wien, die Grünen des hiesigen Fußballs, spielen hier, und Jan war Fan der Grünen. Obwohl die Zuschauer nach Spielende in riesigen Mengen in seinen Garten und gegen sein Haus pissten. Jan trug ihnen das nicht nach. Er war generell nicht nachtragend, er wählte ja auch trotz des Syrers noch immer Grün in allen drei Ländern, in denen er sie wählen durfte.
    Jan war treu, was für einen schwulen Kellner um die dreißig ungewöhnlich ist. Zusammen mit seinem jüdischen Musikerfreund Doron besaß er eine Jahreskarte im Hanappi-Stadion. Doron war der Bruder von Hirsch, dem Verkaufsgenie. Ein schwuler Deutscher und ein schwuler Jude – ein gefundenes Hooliganfressen. Wenn Schiedsrichter als »schwule Sau«

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