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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Tür, die aufschwang wie in einem Saloon.
    »High Noon meines Lebens«, sagte Borg, der wohl die gleiche Assoziation gehabt hatte. »Ich werde mich mit mir selber duellieren. Dann werd ich auf jeden Fall den Kürzeren ziehen.«
    Das Einzige, was Borg überhaupt noch am Leben hielt, war der ständige Gedanke an Selbstmord. Borg wog 150 Kilo und zeigte mit seinem, vorsichtig gesagt, »nachlässigen« Äußeren, dass er das Kapitel Leben bereits abgeschlossen hatte. Borg war klug, genussvoll zog er seine Sätze zu Girlanden, so dass selbst kurze Sätze wie Symphonien klingen sollten. Nach jedem Wort leckte er sich die Lippen, als hätte es ihm gut geschmeckt. Seine fettigen, langen Haare fielen ihm ins Gesicht. Wenn er eine Wurstsemmel aß, zuzelte er mit der Zunge die Wurst aus der Semmel und sah dabei aus wie ein Frosch auf Insektenfang. Wahrscheinlich war für ihn die Semmel selbst ungenießbar, weil sie zu schwer zu kauen war.
    »Nicht wahr? Nur wer lendenkrank ist wie ich, weiß, dass er zur Armee der Abgedankten gehört. Du aber, lendenstark und jung, nicht wahr, leuchtest wie ein Leuchtkäferchen der Lust für jeden, der noch Lust empfinden kann. Nicht wahr?«
    Borg blickte mich bei diesen Worten vorwurfsvoll an. Mit der Zunge schnellte er erneut in die Wurstsemmel und zog die Wurst mitsamt einem aufgeschnittenen Gurkerl in den Mund. Er schluckte nicht. Die Wurst verschwand einfach mitsamt dem Gurkerl im schwarzen Loch seines großen Kopfes, und genauso plante er selbst irgendwann zu verschwinden.
    »Vielleicht erhänge ich mich«, sagte er und leckte sich über seine kleinen, schmollenden Lippen, die aussahen, als hätte sie ein betrunkener Schönheitschirurg unterschiedlich dick aufgespritzt. Es war nicht klar, ob er sich die Lippen wegen der Wurst leckte oder wegen des Gedankens, am Brückengeländer baumelnd das Leben abzugeben.
    »Nicht wahr, ›heimdrehen‹ sagen wir in Wien. Heim in den Gatsch, aus dem wir kommen, in den Matsch, wie ihr Deutschen sagt, the mood , ins feuchte Erdreich, wo die Würmer eine Freud an mir haben werden.« Borg verschlang die nächste Wurst.
    »Dann fütterst du also jetzt prophylaktisch die Würmer«, stellte ich fest.
    Die Drehtür des Lokals öffnete sich. Ein leichter Zugwind kam auf und verschwand, als die Tür wieder zufiel. Borg blickte zur Tür.
    »Der ärmste Wurm bin ich selbst. Die Würmer werden mich mit dem Arsch nicht anschauen. Der ärmste Wurm am Firmament. Ich bin nichts. Vielleicht erschieße ich mich auch. Ich werde mir in beide Nasenlöcher schießen und in die Ohren und dann mit offenem Mund gefunden werden, so als wollte ich noch etwas sagen. Eventuell, das wird der Augenblick zeigen, springe ich aus dem Fenster meiner Wohnung, die ohnehin einer Gruft gleicht.«
    Die fettigen Haare fielen ihm vors Gesicht, aber er wischte sie nicht beiseite, sondern sprach düster durch die haarige Gardine.
    »Ich werde springen, aber vorsichtig, dass ich niemanden verletze. Ich werde mich bemühen, neben einem ahnungslosen Passanten aufzuschlagen, nicht wahr. Nicht auf ihm und ihm mich als Krone aufsetzen, nein. Aufschlagen werde ich fein säuberlich neben ihm. Grüß Gott, der Herr, nichts Gutes kommt von oben.«
    Seine Zunge schoss unvermittelt durch die Haargardine und zog sich ein neues Wurstblatt in den Schlund. Über eine Stunde hatte Borg jetzt schon verschiedenste Selbstmordarten aufgezählt. Bei starkem Gewitter Eichen suchen und Buchen weichen, behaupten, einen Albaner umgebracht zu haben, um Opfer einer Blutrache zu werden, Gammelfleisch essen, bis die Maden alle Arterien verstopfen … Borg war in seinem Element. Seine Hose hing auf Höhe der Kniekehlen, obwohl er kein Hiphopper war, sein schwerer Gang deutete an, dass er die Last der Welt zu tragen hatte, an der er mehrmals stündlich zugrunde ging. Er spülte die Wurst mit einem weißen Spritzer hinunter. Wurstreste klebten im Haar vor seinem Mund.
    Er schniefte. »Wenn ich mich von einer Autobahnbrücke stürze, könnte es sein, dass ich einem Fahrzeug vor die Windschutzscheibe donnere, so dass der Lenker die Kontrolle übers Fahrzeug verliert, dann würde Gott mich wegen Mordes im Himmel zum Tode verurteilen und ein kleiner, süßer Engel würde mich vergiften und auf meiner Leiche tanzen und meinen leidenden Körper durch die Saiten seiner Harfe fädeln. Das werde ich nicht tun. Ich werde mich verbrennen. Nicht wahr, als Flamme der unerfüllten Liebe erlöschen. Erlösung durch Erlöschung.«
    Er

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