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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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beschimpft wurden oder Austria-Wien-Spieler als »Judenschweine«, dann tat Jan so, als ob er das Gebrüll nicht verstehen könne, während Doron den skandierenden Fans seiner eigenen Mannschaft den langen Mittelfinger zeigte. »Adolf Hitler war Rapidler«, brüllten die Austria-Wien-Fans indes.
    In der Halbzeitpause, am Würstelstand, wenn die anderen »a Haaße und a Eitrige« bestellten, fühlte Jan sich immer unwohl. »Wenn ich dort stehe und bestelle, habe ich immer das Gefühl, die anderen denken, ich sei ein Spielerbeobachter aus Deutschland und schnapp ihnen die paar guten Spieler weg, die sie haben. Ich kling halt sehr deutsch. Deshalb schick ich lieber Doron in der Pause zum Würstelstand. Er bestellt lautstark Falafeln und Humus und dann fragt er die Leute, warum vorhin alle ›Ludenschweine‹ gerufen hätten, er sei zwar auch kein Freund der Zuhälterei, aber das habe doch nichts mit Fußball zu tun; oder ob denn in der gegnerischen Mannschaft lauter Zuhälter spielten?«
    Dorons Großvater hatte in den 30er Jahren bei der legendären Hakoah gespielt. Die Hakoah war eine jüdische Fußballmannschaft und die erste Mannschaft vom Kontinent, die ein englisches Team auswärts besiegte: 1923, West Ham United. Sein Großvater Moses spielte mit dem berühmten Béla Guttmann in einer Mannschaft, sowie mit Egon Pollak, Isidor Gansl, Maximilian Gold und dem schon in die Jahre gekommenen Maxl Scheuer. 1909 war die Hakoah im Prater gegründet worden. »Hakoah« ist das hebräische Wort für »Kraft«. Auch Doron war groß und muskulös, deshalb zögerten von ihm provozierte Fans im Hanappi-Stadion, sich mit ihm anzulegen. Außerdem erkannten sie ihn durch seinen grün-weißen Fanschal als Rapidler und damit als einen der ihren.
    1925 war die Hakoah der erste Meister im österreichischen Profifußball. 1938 wurde die Hakoah von den Nazis zerschlagen und ihre Mitglieder wurden verfolgt. Der Kapitän der Meistermannschaft, Max Scheuer, wurde ermordet.
    Doron hatte mir einmal einen Text von Friedrich Torberg aus den 30er Jahren kopiert. Torberg spielte bei der Hakoah Wasserball und war ein großer Fan der Fußballmannschaft. Warum ich stolz darauf bin , nannte der Schriftsteller seinen Essay:
    Die Hakoah hatte auf dem Platz des Brigittenauer AC gegen die Hausherren anzutreten, die in der Tabelle an vorletzter Stelle lagen, nur einen Punkt vor Vorwärts 06. Wenn die Brigittenauer gegen Hakoah verloren, hatte Vorwärts 06 noch eine Chance, sich vor dem Abstieg zu retten. Infolgedessen erschien der gesamte Vorwärts-Anhang in der Brigittenau, um für Hakoah zu drucken. Besonders ein an der Barriere lehnender Vorwärts-Anhänger schrie sich die Kehle heiser. Nun pflegt man in solchen Situationen den angefeuerten Spieler beim Namen zu rufen – aber den kannte der Anfeuerer nicht. Und die übliche Bezeichnung, die er für Juden allgemein parat hatte – nämlich »Saujud« –, schien ihm in diesem Augenblick doch nicht recht am Platze. »Hoppauf!«, brüllte er also, und nochmals »Hoppauf!« – und dann kam ihm eine Erleuchtung. Sein nächster Zuruf lautete: »Hoppauf, Herr Jud!« Warum ich Hakoahner wurde? Warum ich stolz darauf bin, es zu sein? Weil sie den Andern beigebracht hat, »Herr Jud« zu sagen.
    »Schon wegen meines Großvaters spiel ich Fußball«, hatte Doron mir mal gesagt. Jeden Sonntag kickte er am WAC-Platz in einer Hobbymannschaft. »Bei Wind und Wetter. Wenn ich zu Haus am Sofa lieg und keine Lust hab, dann sag ich mir, ›Hoppauf, Herr Jud‹, und gehe kicken.«
    Ich verabschiedete mich von Borg und machte mich auf den Weg zu Jan. Per Taxi fuhr ich zum Schwedenplatz. Der Taxifahrer war Kärntner. Auf meine Frage, ob er wisse, wo die Strandbar »Tel Aviv« sei, sagte er »Siherlih« und fuhr los. Schweigend tankte er seinen Benz durch die Straßen. An einer Kreuzung drehte er sich zu mir.
    »Wissen Sie, warum man Deutsche zu Ostern nicht versteckt?«, fragte er mich und kicherte asthmatisch.
    »Nein, weiß ich nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
    »Weil sie keiner suchen würden«, platzte es aus ihm heraus, wobei er »suhen« sagte. Er schlug vor Lachen aufs Lenkrad und wischte sich die tränennassen Augen. Aber er holte schon wieder Luft zu seinem nächsten Zwerchfellschlag.
    »Und …«, er musste schon am Beginn des Satzes laut lachen. »Und wie sagts denn ihr in Deutschland zu Telegraphenstangen?«
    »Telegraphenstangen«, sagte ich.
    »Wos? Wir sagen gar nichts, wir gehen einfach dran

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