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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Kollege. Es war übellaunig.«
    »Aber wenn es hier doch nun mal keine historische Persönlichkeit gab, dann ist das doch eine gute Reaktion von dem Mann. Ich bin sehr zufrieden. Guat isch gsi.«
    Ich blickte ihn wütend an. »Es gab eine berühmte Persönlichkeit in Favoriten. Kennst du das Gedicht nicht? Hör zu:
Er war ein Kind aus Favoriten
Und hieß Matthias Sindelar.
Er stand auf grünem Platz inmitten,
Weil er ein Mittelstürmer war.
Er spielte Fußball, und er wusste
Vom Leben außerdem nicht viel.
Er lebte, weil er leben musste
Vom Fußballspiel fürs Fußballspiel.
Das Tor, durch das er dann geschritten,
Lag stumm und dunkel ganz und gar.
Er war ein Kind aus Favoriten
Und hieß Matthias Sindelar.«
    Der Vorarlberger starrte mich verständnislos an. Das enervierte mich noch mehr.
    »Kennst du das nicht?«, rief ich. »Der Papierene? Ein legendärer Wiener Fußballer? Der eine jüdische Freundin hatte? Und von dem man bis heute nicht weiß, ob er sich umgebracht hat oder ob er umgebracht wurde? In der Annagasse ist er gestorben. In Favoriten. Kohlenmonoxid.«
    »Kenn ich nicht«, sagte Rüdisser. »Ich interessiere mich eher für Schweizer Fußball.« So wie später die Sportredaktion vom Vaterland : Frank bot den Liechtensteinern immer wieder Geschichten über den österreichischen Fußball an, aber sie wollten davon nichts wissen. »Kapfenberg gegen Ried interessiert nicht mal österreichische Leser«, meinte er. »Ich kann’s denen in Vaduz nicht übelnehmen, wenn sie meine Geschichten nicht drucken.«
    Wie alle anderen Beiträge wurde auch jener über das historisch-persönlichkeitslose Favoriten im ORF gesendet. Haufenweise riefen erboste Hörer an. Der Mann sei kein typischer Wiener, so rede man nicht bei uns in Wien, der Herr sei provoziert worden, weil ich als Deutscher seine Gefühle verletzt hätte, wieso überhaupt Deutsche in einem Wiener Sender beschäftigt würden, dafür sei man nicht bereit, Gebühren zu zahlen, soll der Deutsche doch bei sich im Ruhrgebiet unter Tage nach berühmten Persönlichkeiten suchen.
    In Favoriten endete also meine Teilnahme an unserem 23-Bezirke-Projekt und damit auch meine Landesstudiokarriere. Rüdisser sei Dank.
    Ich kehrte zurück in die Jugendredaktion. Seit Toni mit Hirsch nach England gegangen war, stagnierte meine Karriere. Ich grüßte jeden, sagte »Mahlzeit« und »Grüß Gott«, aber es ging nicht wirklich voran. In der Kantine hörte ich eines Tages Harald Juhnke hinter mir reden: »Dit Einzije, worauf ick stolz bin, is, det ick et jeschafft hab vom Wedding in den Grunewald.«
    Toni hatte unzählige Jugendporträts gemacht und davon ganz gut gelebt. Ich packte die Chance auf leicht verdientes Geld beim Schopf und drehte mich zu Juhnkes Tisch um:
    »Hätten Sie eine halbe Stunde Zeit? Für die Jugendredaktion. ›Als ich vierzehn war‹ – das ist so eine Reihe. Hätten Sie Lust?«
    Neben Juhnke saßen sechs Herren in schwarzen Anzügen. Mir fiel auf, dass ich eine kurze Hose trug.
    Juhnke musterte mich. »Tut mir leid, aber ick bin volljetremmelt mit Termine«, sagte er. Der Hagere, der auch in der Kantine saß und mich beobachtet hatte, zeigte mir den Vogel. »Du bist wirklich auf der Nudelsuppe dahergeschwommen, was?«, fuhr er mich anschließend voll Verachtung an. »Du kannst doch nicht jeden, den du aus dem Fernsehen kennst, einfach anreden und ihm das Mikrophon unters Naserl halten. Heast! Das hier ist der Österreichische Rundfunk. Dass du hier Radio machen darfst, ist mir ein Rätsel. Wenn’s nach mir ginge, dürfte so jemand wie du bei uns nicht mal Radio hören!«
    Ich sagte weiterhin brav »Grüß Gott« und »Mahlzeit« und bekam den Auftrag, ein Jugendporträt von Herbert Prohaska zu gestalten. »Als ich vierzehn war« – nicht mit Juhnke also, nun aber immerhin mit Österreichs Jahrhundertfußballer. Ich rief Robert an und bot ihm an, mich zu begleiten. Robert war begeistert.
    Wir trafen Prohaska in Graz im »Hotel Europa«. Er war zu dem Zeitpunkt Trainer von Austria Wien, die gerade ein Auswärtsspiel gegen Sturm Graz hatten. Robert und ich waren am Vortag angekommen und hatten die Nacht im »Café Exil« und im Stadtpark durchgemacht. Am Morgen sollte das Interview stattfinden. Wir betraten das Hotel um neun Uhr, und genau in diesem Moment ging der Aufzug im Foyer auf und Herbert Prohaska stand im Trainingsanzug vor uns.
    Als er uns sah, winkte er sofort dem Rezeptionisten. »Meine jungen Freunde brauchen dringend einen Kaffee«,

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