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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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hot danebengschossn. Der Orme wird si ärgern. Noch dreißig Sekunden. 3 : 2 für Österreich. Nach 47 Jahren, meine Damen und Herren, liegt eine österreichische Nationalmannschaft, aber wos für ane, eine Weltklassemannschaft, die da heute spielt, gegen die Bundesrepublik mit 3 : 2 in Führung. Und jetzt trau i mi scho gar nit mehr hinschauen. Aussigschossen ins Out. Schiedsrichter Klein aus Israel, ein ganz hervorragender Schiedsrichter, er hat es nicht leicht ghabt, aber hat bis jetzt klass gepfiffen. 45. Minute, noch einmal Deutschland am Ball und Prohaska haut den Ball ins Out. Und jetzt ist auuuus! Ende! Schluss! Vorbei! Aus! Deutschland geschlagen, meine Damen und Herren, nach 47 Jahren kann Österreich zum ersten Mal wieder Deutschland besiegen!
    Das Band war aus. Plötzliche, andächtige Stille erfüllte den Raum.
    »Und?«, fragte Robert nach einer Weile.
    »Was? Ich bin eingenickt. Wie ist es denn ausgegangen?«, neckte ich ihn.
    »Blödmann. Deutschland geschlagen. Aus, Schluss, vorbei!« Er schnalzte mit der Zunge. »Danke fürs Tape. Ach ja, wusstest du, dass Toni nicht mehr moderieren durfte, weil der Intendant fand, sie klingt, als würde sie Hosen tragen?«
    »Nein, wusste ich nicht.«
    Auf dem Boden lagen alte Fotos verstreut. Ich betrachtete die Schwarzweißfotografie eines Mannes in einer Chauffeuruniform.
    »Mein Großvater«, klärte Robert mich auf. »Er hat in den Rosenhügel-Filmstudios gearbeitet. Als Fahrer. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er einmal Marlene Dietrich fahren sollte, und die war irgendwie ungut zu ihm, da dreht er sich um und sagt: Frau Dietrich, ich find, Sie haben eine Entennase.« Wir lachten beide.
    Nachdem ich Roberts Ehrentag standesgemäß mit einem gemeinschaftlichen Gedenken an Österreichs größte Heldentat begangen hatte, begab ich mich am Abend zu Sophie, um einen weiteren Ehrentag anzusprechen.
    »Es war windstill, als du geboren wurdest, am Nachmittag aber begann es zu regnen. 25 Grad hatte es, und es kühlte in der Nacht kaum ab«, sagte ich unvermittelt.
    Sie schaute mich überrascht an. Erst als ich das Datum dazu nannte, grinste sie. »Dein Mann im Archiv ist ein Endemit.«
    »Glaube ich nicht. Solche Fähigkeiten haben auch Leute außerhalb Österreichs. Ein Eremit ist er, das ja«, erwiderte ich und erinnerte mich an den Sommer fünf Jahre zuvor.

Wir schrieben den 21. Juni 1998: Roberts
    dreißigster Geburtstag. Zusammen mit Frank, ’s Gütli, Rocco, Spön und Tatjana machten wir einen Geburtstagsausflug nach Drosendorf an der Thaya im nördlichen Waldviertel, direkt an der tschechischen Grenze. Es war ein außergewöhnlich warmer Tag.
    Das 800 Jahre alte Städtchen war komplett von einer Stadtmauer aus dem 12. Jahrhundert umgeben. In die Innenstadt gelangte man nur durch die beiden Stadttore. »Renaissance, Barock und Jugendstil«, erklärte Spön. Wir saßen im »Moka«, dem »Mohn- & Kaffeehaus«, und aßen Mohn-Grieß-Strudel, Mohn-Zimt-Schnitten und Weißmohntorten.
    »Meine Mutter ist als Kind in einem blühenden Mohnfeld eingeschlafen und hat drei Tage lang durchgeschlafen«, erzählte ich.
    »Ich sag ja, deine Eltern sind eher so Hippies«, sagte Robert.
    »Das war im Krieg«, sagte ich. »Und sie war drei oder vier.«
    »Wenn damals alle Deutschen in einem Mohnfeld eingeschlafen wären, sähe Köln heute schöner aus. Und Hannover auch«, sagte ’s Gütli.
    Wir gingen hinunter zum alten Strandbad an der Thaya. Das Wasser schimmerte braun, weil es sehr eisenhaltig war. Wiener und Brünner Bürger verbrachten hier früher die Sommermonate. Im Strandbad hingen alte Schwarzweißfotografien von einem Hochwasser in den 20er Jahren. Auf diesen ragte nur das Dach des Strandbads aus dem über die Ufer getretenen Fluss.
    Das Ufer war dicht bewachsen, die Äste der alten Bäume ragten bis ins Wasser. Wir mieteten ein Kanu und fuhren den stillen Fluss hinunter. An einer Lichtung legten wir an und tranken aus unseren mitgebrachten Dopplern Veltliner. In Österreich gab es zum Glück auch Qualitätswein in preisgünstigen Zweiliterflaschen.
    Während die anderen zusammensaßen, ging ich kurz alleine von der Lichtung ans Ufer hinab und blickte auf das friedlich dahintreibende Wasser. Plötzlich raschelte es direkt rechts neben mir. Ich blickte zur Seite. Im Dickicht sah ich zwei dunkle Augen. Eine Frau lächelte mir zu. Sie hatte Gras und Zweige im schwarzen Haar und zerkratzte Unterarme und strich sich eine Strähne aus dem sonnengebräunten

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