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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Rollstuhl gegen die Tür krachen und die Tür sich öffnen. »Mah! Des depperte Nudlaug. Hob i scho gwusst, heit is a Scheißtog. Des hob i scho im Urin gspiat beim Aufsteh!«

Die Hitze des Sommers 2003 drückte
    auf die Dächer Wiens. Ing. Palfinger wurde von zwei jungen Technikerkollegen gestützt. Seine Haare waren zerzaust, sein weißer Dienstmantel fleckig und sein Blick glasig. Als er mich sah, knurrte er »Scheipi«. Seit Jahren machte er das nun schon so.
    »Ist er betrunken?«, fragte ich die beiden Tontechniker, die ohne Mantel ihren Dienst taten. Sie nickten. Sie hatten ihn von seinem Technikerplatz hochgehoben, einer links, einer rechts, und langsam aus dem Regieraum geführt. Mein erster Impuls war, dass er noch immer trinken musste, um die Livesendung mit mir, Frau Maria und Renee zu vergessen, auch wenn das inzwischen ewig her war.
    Ich ging weiter Richtung Archiv. In dem Studio, in dem die stündlichen Nachrichten gesendet wurden, sah ich einen kurz vor seiner Pensionierung stehenden Nachrichtensprecher: klein, mit Brille und tadellosem Anzug, so adrett, als käme das Bild zum Radioton dazu. Er kletterte gerade auf den Tisch, um von dort, im Stehen, den Hals streckend, in das an der Decke hängende Mikrophon zu sprechen. Ing. Palfinger lag schon lange im Clinch mit dem »Scheina«, wie er ihn logischerweise nannte. Als Scheiß-Piefke war ich auf der Seite des Scheiß-Nachrichtensprechers, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ durch seine unbequeme Haltung.
    Eine ältere Technikerin saß am Platz von Ing. Palfinger. Ich grüßte sie. Wir mochten uns. Ich hatte sie am Anfang meiner Radiozeit einmal gefragt: »Wissen Sie eigentlich, wieso ich hier reinspreche und alle im Land können mich hören? Ich weiß schon, Schallwellen. Aber wissen Sie, wieso das funktioniert?«
    »Wenn Sie es nicht weitersagen: Ich habe keine Ahnung. Es ist mir selber ein Rätsel«, war ihre Antwort gewesen.
    Der Archivbeamte gab mir das Band »1978, 21. Juni, bedeckt, 21 Grad, leichter Wind von Ost / Südost«.
    Er hatte die Fähigkeit, sich an jedes Wetter der letzten fünfzig Jahre zu erinnern.
    »Und am 5. 6. 1966?«, fragte ich ihn und erhielt die gewünschte Antwort.
    Als ich aus dem Funkhaus ging, stieg ich aufs Fahrrad und fuhr die Argentinierstraße hinunter, vorbei an dem kleinen Elektrogeschäft »TV und Radio Fingerlos«, was mich in diesem Moment etwas verunsicherte. Es klang wie die Klage darüber, dass heute etwas Bestimmtes im Rundfunk fehlte. So etwas wie Edi Finger – von dem ich gerade eine Aufnahme in der Tasche trug.
    Robert hatte heute seinen 35. Geburtstag. Feierlich lag er in seiner Wohnung in der Wiedner Straße auf dem Sofa. Hinter ihm an der weißen Wand klebten fünf Postkarten von Hias Schaschko, einem österreichischen Graphiker, der in München lebte. Die Aufdrucke lauteten:
Mad in Austria
Es ist wie es ist
Wann hört es endlich auf zu dauern
Ich bin stolz eine Postkarte zu sein
Sechs Österreicher unter den ersten fünf
    Ansonsten war die Wohnung karg eingerichtet. Ein Ghettoblaster auf dem Fensterbrett gehörte zum spärlichen Mobiliar.
    »Herzlichen Glückwunsch!«, sagte ich und steckte die Kassette ein, die ich im Funkhaus überspielt hatte, drückte auf PLAY und legte mich auf den Boden, weil es sonst kein Möbelstück gab, auf dem ich hätte sitzen können. Den Kopf legte ich auf zwei Schlammpackungen, die sich gut als Kopfpolster eigneten.
    Der Lautsprecher rauschte, dann ertönte die Stimme von Edi Finger:
    Und jetzt kann Sara sich noch einen aussichtslos scheinenden Ball einholen, Pass nach links herüber, es gibt Beifall für ihn, da kommt Krankl, vorbei diesmal an seinem Bewacher, ist im Strafraum – Schuss … Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer narrisch! Krankl schießt ein – 3 : 2 für Österreich! Meine Damen und Herren, wir fallen uns um den Hals; der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Pusch – wir busseln uns ab. 3 : 2 für Österreich durch ein großartiges Tor unseres Krankl. Er hot olles überspielt, meine Damen und Herren. Und wartens no a bisserl, wartens no a bisserl; dann können wir uns vielleicht ein Vierterl genehmigen. Also das, das musst miterlebt haben. Jetzt bin i aufgstanden, alle. Die Südamerikaner mit ihren Toros. I glaub, jetzt hammas gschlagn.
    Die Deutschen ham alles nach vorn beordert. Eine Möglichkeit der Deutschen! Und?! – Daneeeeben! Also der Abraaaamczik – obbusseln möcht i den Abramczik dafür. Der braaave Abramczik

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