Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
Das kleine Wort »online« zeigte, dass er die gesendete Nachricht bekommen hatte, war er offline, konnte man anhand des Verlaufs der letzten Kontakte seinen Antwortrhythmus genau errechnen. Da gab es keine Krankenhaus-Koma-Ausflüchte mehr.
Bei Markus tat sich gar nichts. Er hatte meine Nachricht noch nicht einmal gelesen. Dabei hatte ich sie schon vor exakt siebzehn Minuten abgeschickt. In der Zeit hätte so viel passieren können. Wir hätten uns vertragen und schon auf halbem Wege zum Feierabendgetränk sein können. Stattdessen: nichts. Aber am meisten wunderte ich mich über mich selbst.
Ulf war letzte Nacht wiedergekommen. Er war wieder da! Wieder bei mir. Und was tat ich? Ich fragte mich, was ein Lottoangestellter trieb, ob er gekränkt war und wann er endlich meine WhatsApp zu lesen gedachte.
»Na, hat er nicht geantwortet?« Melanie war unbemerkt hinter mich getreten und schaute mir über die Schulter. »Jule, wenn du Kinder hättest, hättest du keine Zeit, stundenlang auf dein Handy zu starren. Ich wette, du gehst mit dem Ding sogar schlafen.«
»Wenn sich nichts Besseres anbietet«, entgegnete ich trotzig.
»Wie oft habe ich dich schon mit diesem Handy beobachtet? Das nimmt dein ganzes Leben ein, fesselt dich, macht dich krank.«
»Deine Kinder machen das Gleiche mit dir.«
»Mag ja sein, aber die sprechen wenigstens manchmal mit mir.«
»Mein Handy auch. Jetzt zwar grad nicht, aber immerhin hat Ulf sich gemeldet und ist wieder da.« Melanie runzelte die Stirn.
»Du meinst den Typen, der wieder mal tagelang von der Bildfläche verschwunden war?«
»Sein Vater war krank!«, verteidigte ich meinen wundervollen Freund Ulf.
»Na klar, und die Ururoma musste zum Abtanzball.« Ich gab mein Bestes, nicht über Melanies Standpauke zu grinsen.
Sicher, sehr häufig hatte sie mit ihren Beobachtungen recht, oftmals steckte aber auch eine große Portion Neid einer frustrierten Frau dahinter, die seit Jahren mit denselben Kindern und demselben Mann unter einem Dach wohnte. Vermutete ich einfach mal so, und es passte als Strategie auch sehr gut, um von meinen eigenen Problemen abzulenken.
»Such dir einen anständigen Mann aus, das hast du echt verdient, einen, der nicht so mit dir spielt.« Melanie wurde ernst, was mir gar nicht in den Kram passte.
»Du kennst Ulf doch gar nicht.«
»Das muss ich auch nicht. Ich kann mir auch so denken, was er will.«
»Was soll er denn wollen?«
»Och, Jule, was könnte er wohl ausgerechnet jetzt wollen? Manchmal kommst du mir vor wie eine Zwölfjährige im Körper einer Dreiunddreißigjährigen.«
Echte Freunde zeigen sich,
wenn du in einen Skandal verwickelt bist.
Elizabeth Taylor
Sehr alt fühlte ich mich. Angeschlagen und ungeliebt. Auf dem gesamten Rückweg überlegte ich, was Melanie gemeint haben könnte. Um das Geld konnte es nicht gehen, schließlich hatte Ulf überhaupt nichts von dem Trara mitbekommen. Oder hatte er mich angelogen und war nach Lektüre der Zeitung mit fliegenden Fahnen zu mir zurückgekommen?
Zugegebenermaßen nagte tief in mir ein Zweifel, ob Ulf es aufrichtig mit mir meinte. Selbst meinem verliebten Hirn war nicht entgangen, dass schon sehr viel Zufall im Spiel war. Ulf war ausgerechnet jetzt so freundlich zu mir, wo er womöglich Geld witterte.
Diese Gedanken verdrängte ich schneller, als sie gekommen waren.
Geld hatte noch nie eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Kein Wunder, wir hatten auch nie welches. Meine Mutter hatte mit ihrer Malerei gerade mal ebenso viel verdient, dass wir über die Runden kamen. Von meinem unbekannten Vater gab es auch keine Zuschüsse. Insgeheim vermutete ich, dass Carl so selten die Miete angehoben hatte, weil er wusste, dass wir uns keine großen Mietsprünge leisten konnten.
Wir fuhren manchmal in den Urlaub, je nach Auftragslage mal weiter weg und mal weniger weit. Niemals hatte ich mir meine Freunde nach der Dicke ihrer Portemonnaies ausgesucht. Das hatte für mich keine sonderliche Relevanz. (Obwohl ichgestehen musste, dass ich einem Mann, der mir, sagen wir mal, die Stiefel von gegenüber gekauft hätte, nicht abgeneigt gewesen wäre.)
Ich hatte es wohl meiner Gleichgültigkeit gegenüber Kontoständen zu verdanken, dass ich die Lotto-Lage falsch einschätzte. Für mich hatte das Ganze die Ausmaße eines schlechten Aprilscherzes. »Jule ist Millionärin. Haha, reingelegt!« Das Blöde war nur, dass niemand außer mir den Scherz kapierte. Umso dankbarer war ich, dass mich Leute zur
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