Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
ich schon finden, aber nur das. Ich ahnte instinktiv, dass er log. Sollte ich den Irrtum aufklären und ihm meine Kontoauszüge auf den Tisch knallen? Ich entschied mich, das kleine Missverständnis nicht aufzuklären. Sollte mir der Pseudo-Jackpot doch auch einen Vorteil einbringen.
»Ich möchte übrigens, dass Sie nachher bei André noch einen Lotto-Round-up bringen. Noch einmal alles zusammengefasst,was bisher geschah mit dem Glücksklee, und Sie können auch sagen, was Sie sich von dem Geld schon geleistet haben.« Ich nickte einfach, während Dotz erleichtert auflachte und mit der gefundenen Gästeliste in der Luft wedelte.
»Wir gehen da natürlich aus rein beruflichen Gründen gemeinsam hin«, merkte er zum Radiopreis noch an.
»Selbstverständlich«, sagte ich nur.
Seinen bereits ruinierten Ruf als perfekter Gentleman wollte unser Senderchef offenbar nicht aufs Spiel setzen.
Dotz’ letzte Worte hatten mich nachdenklich gemacht. »… aus rein beruflichen Gründen …«, schoss es mir auf dem Weg zurück in die Redaktion immer wieder durch den Kopf. Das war ein Satz, mit dem man sich ganz eindeutig von seinem Gesprächspartner distanzierte, Grenzen zog. Selbst aus Dotz’ Mund hatte es mich verletzt. Nicht, dass ich mir eine private Beziehung zu ihm wünschte, eher würde ich in die Antarktis auswandern. Die Tatsache aber, dass er es laut aussprach, kränkte mich in meiner kruden Eitelkeit. Für ein besonders fest zementiertes Selbstbewusstsein sprach meine Reaktion nicht.
Ich war der Typ Frau, der öffentlich über Lothar Matthäus und seine wöchentlich wechselnden Gespielinnen lästerte, deren Absätze immer höher und deren IQs immer niedriger wurden. Würde Lothar Matthäus mir aber in aller Öffentlichkeit sagen: »Nee, du nicht!«, würde mich das drei durchheulte Nächte kosten, anstatt es als Kompliment abzutun. Mein Leben könnte um einiges einfacher, unkomplizierter und wimperntuschefreundlicher sein, wenn ich anstelle meiner Tränengänge mein Selbstbewusstsein mehr trainiert hätte.
Wie sehr also musste es erst Markus Röck gestern getroffen haben, als ich nur durch Ulfs plötzliche Anwesenheit unser nettes Beisammensein zu einem Dienstessen degradiert hatte. Kein Wunder, dass er sich auf dem Absatz umgedreht hatte und verschwundenwar. Ich hätte ähnlich reagiert. Nun ja, ich hätte ihn vermutlich noch lautstark angepöbelt und seine Begleiterin mit zusammengeknüllten Lottoscheinen beworfen, aber ansonsten hätten sich meine Gefühle ähnlich geäußert. Ich legte immer so einen großen Wert darauf, dass man sich in sein Gegenüber hineindachte, also vor allem, dass mein Gegenüber sich in mich hineindachte und meine wirren Gedankenwege erforschte. Und was tat ich? Trat meinen Begleiter mit Füßen.
Ich hätte Markus gerne zum Freund gehabt. Lange hatte ich nicht mehr so einen vergnüglichen, unbeschwerten Abend verbracht. Wir hatten gelacht, gegessen, getrunken, geplaudert. Davon hätte ich gern einen Nachschlag bekommen. Die Suppe hatte ich mir selber versalzen. Immerhin merkte ich es. Allerdings erst, nachdem ich Ulf wie einen Heiligen gefeiert und ohne weitere Vorwürfe unter meine Decke gelassen hatte. Ulf, den Arsch, der sich tagelang wegen eines angeblich bettlägerigen Vaters nicht gemeldet hatte.
»Jule, um 14:20 bist du zum Talk bei André in der Sendung. Lotto-Round-up hat Dotz in die Sendeplanung geschrieben, was immer das bedeuten mag.« Ich erklärte Melanie, dass ich eine ungefähre Ahnung davon hätte, was er von mir wollte.
»Warum hat er dich eigentlich zu sich ins Büro gerufen?« Ihr Blick war so neutral wie die Schweiz zu ihren besten Zeiten. Ich kannte keine Person in diesem Laden, die so wenig auf die Meinung anderer Leute gab und selbst den Frühmoderator vor der Miesepetrigkeit des Chefs in Schutz nahm. Melanie war ein Mensch, dem man von A bis Z vertrauen konnte. Na ja, zumindest von A bis Y.
»Nichts Besonderes!«, sagte ich daher vage. »Nur noch mal ein Round-up der Lottoberichte.« Jetzt benutzte ich auch schon diesen nichtssagenden Begriff.
»Ach so. Es sah so wichtig aus«, bemerkte Melanie. Sie wies mir den Weg zur letzten Abfahrt. An dieser Stelle hätte ich nochsagen können: Hör mal, der Idiot will, dass ich zum Radiopreis gehe, wie kommt der wohl auf den Scheiß? Aber nein, ich verkniff es mir, wollte nicht wieder für Aufregung sorgen, nachdem meine Millionen nicht mehr Top-Thema des Tages waren.
»Na, hast du dir schon eine Finca mit zehn
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