Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
rechten Hand über Daniels Schreibtisch laufen. Mein Blick schweifte über seine Habseligkeiten. Eine blaue gewachste Tasche stand auf dem Boden, eine Trainingsjacke war nachlässig über die Stuhllehne geworfen, und neben dem Computer lag sein iPhone, das in dem Moment, als ich es entdeckte, zu klingeln anfing. ›Light my fire‹. Ich fand nicht, dass Daniel das Recht hatte, diesen Klingelton von den Doors zu laden. Als Jim Morrison starb, war Daniel noch nicht einmal geplant, und im Nachhinein hätte ich einiges dafür gegeben, wenn seine Eltern sich gegenseitig nicht entflammt hätten.
»Mach das nervige Ding aus«, schimpfte jemand aus der anderen Ecke des Büros. Ich schaute diskret zum Studio, Daniel war immer noch nicht im Anmarsch, dann auf das Display. Die Nummer kannte ich nicht, sie kam mir bloß sehr vage bekannt vor. Sollte ich?
»Hallo?«, meldete ich mich mit verstellter Stimme und ging ein wenig in die Hocke, damit Daniel nicht sehen konnte, dass ich an seinem Handy zugange war.
»Daniel, bitte!«, sagte eine weibliche Stimme mit erkennbar eingeschnapptem Ton.
»Der ist gerade nicht da«, erwiderte ich. Was mich in diesem Moment ritt, wusste ich nicht, nur die ungeheure Wut auf den Nichtsnutz und auf meine unglückliche Situation. Ich wollte ihm schaden, und mein Instinkt sagte mir, dass sich mir hier eine einmalige Situation bot. »Moment mal«, sagte ich noch.
Schnell schnappte ich mir das Mikrofon, mit dem ich zuvor noch Carl aufgezeichnet hatte, verließ mit dem Handy die Redaktion, postierte mich in einer versteckten Ecke hinter einem Blumentopf mit Riesenfarn, stellte das iPhone auf Lautsprecher und drückte den Aufnahmeknopf des Mikros.
»Wie, nicht da?« Eine tiefenentspannte Frau klang anders. »Er wollte sich bei mir melden. Mehrfach, und hat es nicht getan.«
»Kann ich ihm was ausrichten?«, fragte ich neutral, während ich mich auf die Stimme konzentrierte, die mich entfernt an jemanden erinnerte.
»Ob Sie ihm was ausrichten können? Dass ich auf ihn warte. Wer sind Sie denn überhaupt? Seine Sekretärin?« Die Frage meinte sie offenbar ernst. Genauso gut hätte ich als Butlerin oder Typberaterin durchgehen können.
»Eine, äh, Freundin«, erklärte ich vage und verschluckte mich fast an dem ekligen Wort.
»Wenn Sie das sind, was ich denke, dann können Sie ihmausrichten, dass er großen Ärger bekommt.« Jetzt schrie sie, und ich konnte sicher sein, dass das Mikrofon jedes Wort mitbekam.
»Verstehe ich nicht.« Ich stellte mich doof, was eine gute Möglichkeit war, um Menschen noch wütender zu machen und aus ihnen noch mehr Informationen herauszupressen.
»Wenn er es wagt, das eine Foto zu veröffentlichen, dann … ach, egal, sagen Sie ihm, er soll sich umgehend bei mir melden, wenn er nicht möchte, dass ich seinem Chef einen kleinen Anruf abstatte.« Foto? Ganz allmählich dämmerte es mir, wer am anderen Ende der Leitung war. »Wissen Sie eigentlich, was er mir versprochen hat?«, fragte die Frau noch, die tatsächlich vermutete, ich sei Daniels Bettgefährtin.
»Was denn?«
»Dinge, die Sie nie zu hören bekommen werden«, sagte sie und hoffte, mich damit zu kränken. »Sagen Sie ihm, er soll mich umgehend anrufen!«
»Wie ist denn eigentlich Ihr Name?« Ich sah sie in einem Nichts von Negligé auf einem gemütlichen Sofa mit Blick in einen Garten an der Elbchaussee sitzen, während ihr Mann sich mit seinen Kumpels zum Skat in Barmbek traf. Sie hingegen erkannte offenbar nicht, dass sie mit der Frau telefonierte, die sie erst vor kurzem interviewt hatte.
»Schneider!«, würde die Millionärsgattin antworten müssen, wenn sie tatsächlich unüberlegt ihren Namen preisgäbe. So zornig und ungehalten war sie dann aber doch nicht.
»Sagen Sie ihm, sein Jackpot hat angerufen!«
Rasch schlüpfte ich zurück in die Redaktion, platzierte unbeobachtet das iPhone auf Daniels Schreibtisch und überlegte mit hochrotem Kopf, was ich mit dem verhängnisvollen Tonmaterial anfangen sollte. Das könnte ich Daniel zu gegebenem Anlass um die Ohren hauen. Verführung von Interviewpartnern währendder Arbeitszeit, das müsste doch reichen, um ihn fristlos zu feuern. Vorerst verstaute ich das Mikrofon sicher in meiner Tasche. Daniel trat in diesem Moment aus dem Studio, und ich verließ den Raum. Melanie würde ihn sich vorknöpfen. Obwohl ich stinksauer auf ihn war, wollte ich ihm jetzt nicht unter die Augen treten. Nichts Unüberlegtes tun, dachte ich, zudem flüsterte mir mein
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