Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
beginge, wenn ich im Nachhinein etwas Böses über sie sagte.
»Ach, Verena!«, dachte ich mit rot verheulten Augen, und genau in diesem Augenblick piepste mein Handy. Es war wahnsinnig kitschig, und das Wort Schicksal – mystisch geflüstert – hätte gepasst wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: In meiner tiefsten Traurigkeit, Vergangenheitsbewältigung und Einsamkeit meldete sich meine beste Freundin per SMS, um sich mit mir zu versöhnen.
»Hoffentlich heulst du dir nicht die Augen aus dem Kopf unseretwegen.« Genau das tat ich gerade. »Erstens: Ich bin ein Vollidiot. Zweitens: Du nicht! Drittens: Rafael ist noch bekloppter als ich. Wie konnte ich nur? Viertens: Mir ist etwas Unglaubliches passiert, das muss ich dir erzählen. Fünftens: Von Carl weiß ich, dass ich mich getäuscht habe. Sechstens: Es tut mir leid, ich bin ein Vollidiot. Siebtens: Soll ich dir Geld leihen?«
Ich schmunzelte, nein, ich lachte. Ich überlachte meine Tränen.
Verena hatte sich entschuldigt. Und Carl, der Geheimniskrämer, hatte ihr offenbar ganz gehörig den Kopf gewaschen. Wie ein unauffälliger Regisseur im Hintergrund hielt dieser Mann unzählige Fäden in der Hand. Das wurde mir auch jetzt wieder bewusst.
Jeder brauchte seine gute Fee. Carl war meine.
Während ich überlegte, was ich Verena antworten könnte, sah ich mir noch schnell die restlichen Fotos an. Bevor ich meiner guten alten Freundin zurücksimsen konnte, lernte ich einen neuen Bekannten kennen. Jemanden, der auf einem anderen Bild ebenfalls das Bündel Baby auf dem Arm trug. Einen Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Zumindest nicht, als ich noch ein Kind war.
Wer glücklich reisen will,
reise mit leichtem Gepäck.
Antoine de Saint-Éxupéry
Es war mir egal, dass es schon fast Mitternacht war. Ich ließ die Fotos achtlos fallen, schlüpfte in meine Klamotten, die auf dem roten Sessel lagen, schnappte mir meine Jeansjacke und sprintete die Treppenstufen hinunter. Ich war so aufgeregt und in Eile, als könnte ich eine Sonnenfinsternis verpassen, die so erst in fünfhundert Jahren wieder in Hamburg zu sehen sein würde. Dabei hatte ich es gar nicht eilig. Verena würde viel länger brauchen.
Ich hatte eine SMS zurückgetippt, und wenige Sekunden später hatte ich ihre Stimme am Ohr gehabt.
»Wollen wir uns noch sehen?«, fragte sie. Das war der Satz, den ich mir spätabends so oft von Ulf gewünscht hatte.
Das »Piazza« war noch gut gefüllt, und Mario versprach mir, noch bis ein Uhr geöffnet zu haben. Ich bestellte zwei Gläser geeisten Wein. Ich dankte ihr innerlich für die SMS, für den Anruf und dafür, dass sie mich von dem unfassbaren Foto abgelenkt hatte. Kurze Zeit später stürmte Verena die Bar, eilte auf mich zu und grinste. Wir fielen uns glücklicherweise nicht theatralisch in die Arme, sondern freuten uns ohne Körperkontakt.
»Ich bin ein Vollidi…«, begann Verena.
»Sagtest du bereits«, unterbrach ich sie. »Vergiss es. Hast du wirklich gedacht, ich bin Millionärin?«
Verena zuckte mit den Schultern. »Eigentlich konnte ich es mir gar nicht vorstellen. Aber dann war da die Sache im Radio, in der Zeitung, es passte irgendwie alles. Außerdem wollte ich unbedingtdas Bett und war so sauer auf dich. Ich glaube auch, weil du Rafael auf mich gehetzt hast.«
»Habe ich gar nicht. Ich wollte dir nur helfen.«
»Ja, das hat nicht ganz geklappt.« Verena verdrehte grinsend die Augen.
»Hast du etwa, also habt ihr etwa …?« Ich wagte es nicht, den Satz zu Ende zu bringen.
»Nein. Obwohl ich schon knapp davor war. Aus Rache. Weil du mir das Geld nicht geliehen hast. Gott sei Dank habe ich noch kurz vorher gemerkt, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Lass uns einfach den Zumbakurs wechseln, okay?«
Dass Verena nicht mit Rafael im Bett gelandet war, war eine noch bessere Nachricht als die, dass wir uns gerade wieder vertrugen. Ich wusste nicht, wie ich ihr jemals wieder in die Augen hätte blicken sollen bei der Vorstellung, dass der Zumbagott seine lateinamerikanischen Hüften … Lassen wir das lieber.
Nachdem diese Männerfront geklärt war, wollte ich Verena mein Geheimnis auch nicht vorenthalten.
»Weißt du eigentlich, dass ich dir das Geld für das Rattanbett auch nicht geliehen hätte, selbst wenn ich’s dabeigehabt hätte?«
Verena nahm einen Schluck Wein. Ich merkte, dass sie sich innerlich aufregte, sich dann aber doch zur Räson rief. »Wieso?«, fragte sie nur.
»Weil ich nicht wollte, dass du in
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