Sechs, Sieben, Cache! | Ein Hildesheim-Krimi
blieb nur der Staub unter den Regalen.“ Sie musste erst durchatmen, bevor sie fragen konnte: „Meinst du, ich sollte ihn anrufen?“
„Wir haben keine Telefonnummer mehr. Er ist umgezogen, seine Handynummer wurde neu vergeben. Er hat sich unsichtbar gemacht.“
Unsichtbar, wie die Verbrecher, die sie gemeinsam gejagt hatten.
„Da kann man wohl nichts machen. Ich danke dir. Du, Karlchen, grüß die anderen von mir. Ja? Ich melde mich bald mal wieder. Dann reden wir über etwas Erfreuliches. Das mit Frank muss ich erst einmal verdauen.“
Sie legte einfach auf, ohne seine Antwort abzuwarten. Im Schreibtischsessel sank sie zusammen, schloss die Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Masoud war eifersüchtig gewesen, hatte mehrfach angedeutet, dass sie ihn wegen Frank verließe. Was völliger Blödsinn war.
Lisa sprang auf, starrte aus dem Fenster. Galt das hier wirklich alles ihr?
17
Abbensen, Dienstag, der 6.9.2011
Gabriel Sola hatte Glück. Thomas Steinwand war offensichtlich ebenfalls nicht daran interessiert, Joachim Wagner zu begegnen. Er passte sich seinen schnellen Schritten problemlos an. Nebeneinander gingen sie den schmalen Plattenweg zwischen den alten Nadelbäumen entlang. Janka hatte ihm erklärt, dass es sich um Eiben handelte und dass diese ausgesprochen giftig waren. Fünfzig Nadeln reichten aus, um einen Menschen zu töten. Giftpflanze des Jahres 2011, sollte das ein Witz sein? Diese Bäume sind so giftig, dass sie selbst Pferde töten, und trotzdem stehen sie unter Naturschutz, weil sie in Europa von der Ausrottung bedroht sind. Sola fragte sich, wo da die Logik blieb.
Selbst wenn sie gewollt hätten, sie hätten beim Umbau des Schlosses und der Neugestaltung des Parks niemals die Genehmigung bekommen, diese Bäume zu fällen. Auch Robert Schwartz persönlich nicht.
Sola fragte sich, wie viele Menschen der alte Graf von Abbensen wohl mit einem Gläschen Eibentee oder Eibenbeerengelee ins Jenseits befördert hatte.
Thomas Steinwand hingegen schien nicht auf die Landschaft zu achten. Er blickte gerade vor sich hin auf den Boden, bis sie bei der Orangerie angekommen waren. Dort zog er einen Zettel heraus und notierte sich, was Sola ihm zeigte. An zwei oder drei Stellen seufzte er.
„Aufwendig?“, fragte Sola ihn.
„Sieht fast so aus, als müssten wir die Stege austauschen.“ Er schien sich zu ärgern. „Es ist ja nicht so, dass wir Anfänger oder Auszubildende geschickt hätten. Alles erfahrene Gesellen, und dann so etwas.“ Er brummelte vor sich hin.
„Wie lange wird das dauern?“
„Haben wir jede Stelle angesehen, an der wir nachbessern müssen?“
„Im Prinzip ja. Es fehlen außerdem ein paar Lampen, aber das wissen Sie ja sowieso. Am Haupthaus drüben sind noch zwei Bereiche, an denen die Anschlüsse der Regenrinnen an den Vordächern seltsam aussehen.“ Er lachte hohl. „Wir wollen ja nicht, dass die Damen beim Rauchen nass werden, oder?“
Der Metallbauer sah Sola so perplex an, dass dieser beinahe lachen musste. „Unter den Vordächern werden die Aschenbecher angebracht. Im Schloss ist das Rauchen selbstverständlich komplett untersagt. Im täglichen Leben wird das bedeuten, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei jedem Wetter mindestens zwei Gäste vor der Tür stehen und sich die Lungenbläschen mit blauem Dunst füllen.“ Während er sprach, bewegte er sich mal deutlich schneller als Thomas Steinwand, blieb dann wieder hinter ihm zurück, wechselte die Seite, ging sogar ganz um ihn herum. Dabei zeigte er auf verschiedene Bauteile, die Steinwands Firma geliefert hatte, und lobte die Ausführung, die Farbgestaltung oder das Design. Tatsächlich gelang es ihm dadurch, dem Mann einen Schraubendreher aus der Tasche zu ziehen, ohne dass der etwas bemerkte. Sola ließ ihn sofort in seiner Jackentasche verschwinden und redete weiter auf Steinwand ein. Als dieser unerwartet stehen blieb, rempelte Sola ihn an. Geistesgegenwärtig ließ er seine Hand in die Hosentasche des anderen gleiten und zog einen Schlüsselbund heraus. Den konnte er zwar nicht behalten, weil Steinwand den Verlust bemerken würde, sobald er in sein Auto steigen wollte. Aber Sola konnte zumindest einen Abdruck machen. Wenn er richtig fühlte, hielt er freien Zugang zu Wohnung, Wagen und Werkstatt in der Hand.
Er überlegte gerade, unter welchem Vorwand er den Metallbauer allein lassen konnte. Ob es ihm gelingen würde, die Ich-ruf-mich-selber-an-Funktion seines Handys zu aktivieren, ohne
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