Sechseckwelt 02 - Exil Sechseck-Welt
er hatte eine Sanftheit und Güte an sich, die zu verbergen er verzweifelt bemüht war, ohne daß es ihm gelungen wäre. Seltsam – ich bin mir nicht einmal sicher, wie er hieß, und ich war mit fünf Jahren nur einige Tage mit ihm zusammen, aber er ist für mich so real wie meine Stiefmutter. Ich vertraute ihm einfach, ich weiß selbst nicht, warum. Ich bin nie mehr einer solchen Person begegnet.«
»Haben Sie je versucht, ihn zu finden?« fragte Renard.
»Ich hatte in den folgenden Jahren zuviel damit zu tun, am Leben zu bleiben«, erwiderte sie achselzuckend. »Bis ich die Mittel dazu besaß, war er wohl schon tot. Ich muß zugeben, daß eine Reihe von Leuten ihn nach meiner Beschreibung zu erkennen schien, aber es gab nichts Greifbares. Manche sagten, ich spräche von einer Legende, einem mystischen Raumschiffkapitän, der nie existiert habe, eine epische Gestalt, wie es sie in vielen Berufszweigen gibt. Einmal bin ich einem Kapitän begegnet, einem alten Veteranen, der erklärte, den Mann gäbe es wirklich irgendwo, und er sei sehr alt, angeblich unsterblich, zurückreichend bis in die Vorgeschichte.«
»Und wie heißt diese Legendengestalt?«
»Nathan Brazil. Ist das nicht ein seltsamer Name? Irgend jemand sagte, Brazil sei der Name eines vorgeschichtlichen Ortes, einer der frühen Raumfahrtmächte.«
»Der Ewige Jude«, murmelte Renard.
»Wie?«
»Eine uralte Legende bei einigen der früheren Religionen«, sagte er. »Es gibt, glaube ich, noch ein oder zwei christliche Planeten. Sie sind die Nachkommen einer noch obskureren und älteren Religion, des Judaismus. Die gibt es noch, diese Leute – irgendwo verstreut. Wahrscheinlich traditionell die größte Bin –« Er verstummte und sah sie betroffen an. »Bin –«
»Bindekraft?« sagte sie.
»Das ist es. Warum ist mir das Wort nicht eingefallen?« Er ging nicht weiter darauf ein, aber Mavra hatte ein unheimliches Gefühl. Eine Kleinigkeit, aber bedeutsam.
»Jedenfalls gab es diesen Mann, der jüdisch war und behauptete, Gottes Sohn zu sein. Deshalb töteten ihn die damaligen Machthaber, weil sie befürchteten, er könnte eine Revolution anzetteln. Angeblich soll er von den Toten auferstanden sein. Ein Jude soll ihn bei seiner Hinrichtung verflucht und erfahren haben, er werde am Leben bleiben, bis dieser Gott-Mensch wiederkehre. Dieser Nathan Brazil hört sich an wie die Modernisierung dieser Legende.«
Sie nickte.
»Ich habe an diese Dinge nie geglaubt, nicht an Unsterbliche, die Raumschiffe steuern, aber viele Raumfahrer, die an nichts anderes glauben, halten das für wahr.«
»Das erklärt vielleicht, was mit Ihnen geschehen ist«, sagte Renard lächelnd. »Wenn die Legende weit verbreitet ist, dann könnte vielleicht jemand, der ihn kannte, ihn imitieren und die anderen Raumfahrer davon überzeugen, er sei diese legendäre Gestalt. Sie würden für ihn Dinge tun, die ein anderer nicht erwarten könnte.«
»Ich weiß nicht, vielleicht haben Sie recht. Aber an dem Mann war wirklich etwas Besonderes, das ich nicht erklären kann.«
»Sie waren fünf Jahre alt«, sagte er. »Da hat man oft merkwürdige Eindrücke.«
Mavra wollte das Gespräch abbrechen, weil es sie bedrückte, aber auch weil Renard Schwierigkeiten zu haben schien, bestimmte Worte zu finden. Er sprach auch langsamer und bedächtiger als früher.
Er schien jedoch auf die Unterhaltung Wert zu legen, also war es wohl das Beste, wenn sie einen Großteil des Gespräches bestritt.
»War das nicht sehr schwer, mit dreizehn Jahren schon allein zurechtkommen zu müssen?« fragte er.
»Doch. Ich saß auf einer fremden Welt, sah aus wie eine Achtjährige, hatte nur ein paar Münzen und kannte nicht einmal die Sprache der Straße. Wenigstens war es keine Kom-Welt. Ich benützte mein letztes Geld dazu, einem kleinen Mädchen die Kleidung abzukaufen, die ganz schmutzig und zerfetzt war. Ich sah aus wie eine richtige Gassengöre. Dann machte ich mich an die Arbeit. Ich bettelte und verdiente nicht schlecht.«
»Keine Probleme mit Vergewaltigung oder Banden?« fragte er erstaunt.
»Eigentlich nicht. Ich hatte ein paarmal Schwierigkeiten, aber es kam immer jemand daher, oder ich konnte fliehen. Und die Bettler halten zusammen, wenn man erst einmal in die Bruderschaft aufgenommen ist. Ich wohnte schließlich in einer alten Hütte vor der Stadt.«
»Wie lange ging das so?«
»Über drei Jahre. Es war kein schlechtes Leben. Man gewöhnte sich daran. Und ich wuchs auf, entwickelte mich ein
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