Sechseckwelt 03 - Entscheidung in der Sechseck-Welt
sozusagen. Ihre Schwänze, die nicht als normal angesehen wurden, sind wie Brazils Menschlichkeit. Er ist ein Markovier und wird wieder zu einem, wenn er sich im Schacht befindet. Ich frage mich, ob er der einzige von ihnen ist, der das getan hat.«
Es war ein Gedanke, aber keiner, den man klären konnte.
Renard sah Mavra Tschang an.
»Warum, zum Teufel, haben Sie sie verlassen?« fragte er zornig. »Warum sind Sie nicht geblieben und haben sie aufgezogen?«
Wooly und Vistaru wirkten schuldbewußt.
»Warum haben Sie sie in Glathriel verlassen und sind nach Agitar zurückgegangen?« gab Vistaru zurück. »Wie oft haben Sie sie in zweiundzwanzig Jahren besucht? Ich wußte ja gar nichts von ihr, bis Ortega es mir kurz vor dem Aufbruch unserer Expedition sagte – aber Sie schulden ihr Ihr Leben.«
»Die Schuld reicht für uns alle, nicht wahr?« meinte er verlegen.
»Die Yaxa hatten beschlossen, sie zu beseitigen«, sagte Wooly. »Ortega erzählte mir die Geschichte, um meine Hilfe zu erlangen. Ich konnte verhindern, daß die Versuche Erfolg hatten. Deshalb war ich es schließlich, die man ausschickte, um sie einzufangen. Ich konnte mich auf niemanden sonst verlassen.« Sie sah Vistaru an. »Was dich angeht, so wußte ich zu der Zeit noch nichts. Ortega hat sich vor ein paar Jahren verplappert, und ich habe die Schlußfolgerungen dann selbst gezogen.«
»Wenn ich mich recht erinnere, hat Nathan Brazil den Schacht darauf programmiert, daß er ihn holt, wenn es ganz schlimm wird«, sagte Vistaru. »Warum geschah nichts, als Neu-Pompeii plötzlich am Himmel auftauchte?«
»Das kann ich beantworten«, erklärte Yulin. »Für den Schacht ist gar nichts Schlimmes passiert. Die Markovier wußten, daß irgendwann in der Zukunft eine ihrer Rassen die Fähigkeit erlangen würde, das Universum so zu manipulieren, wie sie es getan hatten. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Schacht die junge Rasse zu sich holen und neue Anweisungen erhalten. Gewissermaßen eine Wachablösung. Was den Schacht betrifft, so wartet er einfach darauf, daß Obie oder sein Bedienungspersonal mit ihm sprechen. Das ist natürlich genauso, als warte man darauf, daß ein Affe den Koran zitiert. Die Markovier haben es falsch gemacht. Wir haben das Geheimnis zu früh aufgedeckt, und unsere Anlagen können nicht einmal die Daten des Schachts aufnehmen, geschweige denn mit dem Schacht reden und ihm Befehle geben. Obie weigert sich, und das mit einer gewissen Berechtigung. Was ist, wenn er eine falsche Anweisung erteilt und die Menschheit auslöscht?«
Es war ein ernüchternder Gedanke.
»Sie sagen immer ›er‹, wenn Sie von Ihrem Computer sprechen«, meinte Wooly. »Warum?«
Yulin lachte leise.
»Er ist wirklich eine Person und sieht sich als männlich. Computer mit Eigenbewußtsein gibt es schon seit tausend Jahren – ihr kennt bestimmt welche. Aber es hat noch nie einen wie Obie gegeben. Er ist wirklich eine Person, so menschlich wie wir. Wenn ihr ihn seht und hört, wißt ihr, was ich meine.«
Sie verstummten. Plötzlich hob Renard den Kopf. Seine Augen funkelten. Er stand auf und ging zu Mavra zurück, die sich immer noch nicht rührte.
»Also, Mavra Tschang«, sagte er scharf. »Sie haben jetzt alles gehört. Entschließen Sie sich. Das Schiff wird heute über die Grenze kommen und in ein, zwei Tagen startbereit sein. Wollen Sie dabeisein? Wenn Sie sich nicht zusammenreißen, gehen Sie durch den Schacht, wie Sie es schon vor zweiundzwanzig Jahren hätten tun sollen. Entscheiden Sie sich! Auf der Stelle! Was ist überhaupt los mit Ihnen? «
Etwas schien zu ihr durchzudringen. Ihre Atmung wurde langsam kräftiger, das Leben schien in sie zurückzukehren.
»Warum hat er das getan, Renard? Sagen Sie mir das!«
»Wie? Warum hat wer was getan?«
»Warum ist Joshi dazwischengesprungen? Es war Wahnsinn. Ich kann das nicht verstehen. Ich – ich würde nie bewußt mein Leben für einen anderen opfern, Renard. Warum er?«
Das war es also. Er sah ihr in die Augen.
»Weil er Sie geliebt hat, Mavra.«
Sie schüttelte den Pferdekopf.
»Wie kann jemand ein anderes Wesen so lieben? Ich begreife das einfach nicht.«
»Ich eigentlich auch nicht«, sagte er. »Ich glaube, keiner von uns kann es ganz verstehen. Willkommen im Land der egoistischen Heuchler.« Er seufzte und lächelte.
Sie drehte sich herum und sah die anderen an.
»Seid ihr beiden wirklich meine Großeltern? Die Geschichten von der Sechseck-Welt und von Nathan Brazil: Das ist alles
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