Sechselauten
glauben kann, ob er Angst habe, etwas zu sagen. Nein, hat er gesagt. Er wäre sich ganz sicher, und es müsse sich um eine Verwechslung handeln. Eine Verwechslung! So ein Blödsinn.«
»Sie haben tatsächlich Blödsinn gesagt?«
»Natürlich nicht. Gedacht habe ich es. Das darf man, oder? Dass er aber doch bis 1992 in Zürich an der Universität gewesen sei, das habe ich gesagt. Aber er wurde immer stiller, und gebracht hat es dann auch nichts mehr.«
Eschenbach rieb sich das Kinn. »Und die andern?«
»Da fangen dann die echten Probleme an: nichts zu finden, wenigstens nicht so auf die Schnelle.« Rosa nahm die Brille von der Nase. »Entweder leben die nicht mehr in der Schweiz … sind also ausgewandert, wie dieser vergessliche Professor. Oder sie sind tatsächlich verstorben.«
»Dranbleiben, Frau Mazzoleni. Es wäre gut, wenn wir noch den ein oder andern hätten. Nebst Kronenberger natürlich.«
»Aber wir haben jemanden«, sagte Rosa schließlich und seufzte. »Das ist es ja. Eigentlich direkt vor unserer Nase.« Siesah auf das Papier, als müsse sie den Namen ablesen. Dann wanderte ihr Blick zu Eschenbach, so als wisse sie nicht recht, ob ihr Eschenbach etwas vorenthielt. »Sie haben wirklich keine Ahnung?«
»Jetzt sagen Sie schon«, sagte der Kommissar ungeduldig. Es musste Ewald Lenz sein, dachte er. Bestimmt hatte sich Lenz bereits früher mit dem Thema beschäftigt, und nicht erst vor zwölf Jahren, als er die Mühle kaufen wollte.
Rosa blieb stumm und schaute auf das Blatt in ihrer Hand. Eschenbach entschloss sich, nun doch die Brissago anzuzünden. Hustend griff er nach dem Papier. »Zeigen Sie her. Machen Sie es nicht immer so spannend.«
Rosa ließ es geschehen. Und als der Kommissar auf das Blatt starrte, erst da sagte sie: »Verstehen Sie jetzt, warum ich vorhin … Ich meine, als ich nicht sicher war, ob Sie es wüssten?«
Eschenbach atmete tief ein. Rosa hatte den Namen mit einem Bleistift dick eingekreist: Es war Elisabeth Kobler.
8
I n derselben Nacht, Rosa war schon lange gegangen, lag der Kommissar wach. Er hatte es aufgegeben, Schlaf zu finden. Eschenbach starrte zur Decke und suchte nach Antworten. Kobler und Kronenberger – er sah die beiden vor sich, wie sie ihn in ihrem Meeting in die Zange genommen hatten. Diese abstruse Geschichte mit den E-Mails und dem Erste-Hilfe-Kurs. Ein abgekartetes Spiel war es gewesen. Kobler und Kronenberger – die beiden kannten sich, mussten sich ja kennen, nach allem, was Rosa herausgefunden hatte. Es war ein kleiner Klüngel Leute, die sich mit den Hilfswerk-Akten befasst und die vor allem auch Zugriff auf die Dokumente gehabt hatten.
Dass sich Kronenberger für das Schicksal der Fahrenden interessierte, konnte Eschenbach inzwischen nachvollziehen. Er hatte mit Meret Kolegger, einer Jenischen, ein Kind gezeugt. Charlotte. Unter indiskutablen Umständen. Und vor diesem Hintergrund schien es dem Kommissar nun auch plausibel, dass sich der Anwalt so ins Zeug gelegt hatte, so hart gegen ihn vorgegangen war. Kronenberger hatte überreagiert. Es war seine Tochter gewesen, die zu Tode gekommen war. Wäre mit Kathrin etwas Ähnliches passiert, dachte Eschenbach, vielleicht hätte er auch die Nerven verloren.
Aber Kobler – warum hatte sie sich nicht hinter ihn gestellt, wenigstens in dubio pro reo, bis alles restlos abgeklärt war? Weshalb schlug sie sich gleich zu Anfang auf die Seite Kronenbergers?
In die Dunkelheit dieser Fragen drang der Klingelton seinesHandys. Auf dem Display leuchtete eine Nummer auf. Er glaubte sie zu kennen, war sich aber nicht sicher. Sie war nicht auf dem Handy gespeichert – und nun fiel ihm auch wieder ein, warum: Weil er gehofft hatte, sie nie mehr zu brauchen.
Er meldete sich.
»Herr Eschenbach?« Es war die Nummer des Triemli. »Ich bin Frau Dr. Sägässer. Sie sind doch mit Herrn Lenz befreundet, nicht wahr?«
Der Kommissar schnellte hoch, setzte sich auf die Bettkante und sah zum Radiowecker auf dem Nachttisch. Es war halb drei. »Ja«, sagte er hastig. »Was ist mit ihm?«
»Herr Lenz hatte wieder einen Anfall. Gerade eben.«
»Und?«, schoss es aus Eschenbach heraus. »Ich meine, wissen Sie, ist es schlimm?«
»Im Moment ist Herr Lenz nicht bei Bewusstsein«, sagte
Dr. Sägässer. »Wir haben ihn nun auf die Intensivstation verlegt. Aber als das Ganze angefangen hat … Also Herr Lenz war sehr aufgeregt, hat Ihren Namen wiederholt. Immer wieder. Sie sollen kommen … Und etwas von einer Akte hat er
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