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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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alles hier drin: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, Sommersession 1986 , Bern, Seite 559  – ich hab den Ausschnitt kopiert.«
    »Donnerwetter, Frau Mazzoleni. Donnerwetter.« Eschenbach hätte applaudiert, wenn es sich nicht um ein derart schwarzes Kapitel der Schweizer Geschichte gehandelt hätte.
    Rosa ließ die Schultern hängen. »Es ist nicht viel – trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist es so grauenhaft. Einiges davon steht auch im Internet. Ein paar Dinge habe ich aus den Archiven der Zeitungen und vom Bund. Heute geht das alles elektronisch …«
    »Ich weiß«, sagte Eschenbach. Er nahm nun doch eine Brissago, steckte sie sich, ohne sie anzuzünden, in den Mund. »Und es interessiert heute keinen mehr. Das ist es, was Sie am meisten erstaunt, nicht wahr?«
    »Erstaunt? Es macht mich rasend.«
    »Eben. Die Welt ist, wie sie ist, Frau Mazzoleni. Wie gehen wir nun weiter vor?« Nachdenklich schaute der Kommissar auf das Feuerzeug, das er in der Hosentasche gefunden hatte. »Immerhin wissen wir jetzt, dass Kronenberger die Akte kennt … vielleicht nicht den ganzen Umfang. Aber mindestens Teile davon. Und so wie es aussieht, hatte er eines Tages plötzlich kein Interesse mehr daran, dass sie öffentlich wird.«
    »Sehen Sie das auch so?«
    »Ja.« Eschenbach zeigte auf die rote Hülle, die Rosa gleich zu Anfang auf die Seite gelegt hatte. »Das Pro-Juventute-Archiv. Sie haben dort angerufen … denen die Hölle heißgemacht, wie Sie gesagt haben.«
    Rosa holte die Unterlagen aus der Hülle. Es waren nur zweiBlätter. »Ich wollte wissen, wer die Personen sind, die Einsicht in das gesamte Material des Hilfswerks bekommen haben«, sagte sie. »Ich meine, bevor die Sache versiegelt wurde. Schließlich hatte man Wissenschaftlern eine Zeitlang Zugriff gewährt … Und auch die Kommissionen, die darüber beraten haben, mussten ja eine gewisse Grundkenntnis der Materie haben.«
    »Und?« Eschenbach spielte mit dem Feuerzeug.
    »Datenschutz«, sagte Rosa. »Immer wenn’s um Namen geht, kommt der Datenschutz. Müsste eigentlich Namenschutz heißen. Trotzdem, ich hab gesagt, ich sei von der Kantonspolizei. Das stimmt ja auch. Und die Presse hätte ich am Hals und die Stadtregierung. Und es ginge um den Standplatz der Jenischen in Seebach … Das ganze Arsenal habe ich denen aufgetischt.«
    »Gut so«, grummelte Eschenbach. Gebannt sah er in die Flamme seines Feuerzeugs. »Und weiter?«
    »Nach langem Hin und Her … Also ich hab denen meinen Namen buchstabieren müssen, meinen Ausweis gefaxt, ich sage Ihnen, Kommissario, ein riesiges Affentheater haben die losgelassen. Und am Ende, also da haben sie mir wenigstens ein paar Namen genannt. Die Namen derer, die im Kanton Zürich leben. Immerhin. Auf diese hätten wir bestenfalls Anrecht, hat sie gemeint, diese Frau …« Rosa sah auf das Blatt Papier. »Frau Marquardt hieß die Leuchte, und wenn wir es schriftlich wollten, dann müssen wir einen Antrag stellen.«
    »Aber Sie haben’s natürlich notiert. Anträge sparen wir uns.«
    »Und ob.« Rosa hob das Papier. »Natürlich ist Kronenberger darunter. Ich meine natürlich Sandro Graf. Dann gibt es ein halbes Dutzend andere. Xaver Hegetschwiler, Dr. Oliver Lauper und so weiter.«
    »Haben Sie mit denen gesprochen?«
    »Ich hab’s probiert«, sagte Rosa. »Man muss die erst einmal finden, verstehen Sie? Das ist gar nicht so einfach. 1986  … Das sind mehr als zwanzig Jahre her, seit dort niemand mehr zu den Akten kann. Eigentlich wundere ich mich sowieso, dass die mirPersonen nennen konnten. Stellen Sie sich vor, Kommissario. Wenn bei uns jemand fragt, irgendwas, das so lange zurück liegt. Da hätten wir nicht einen Piepenschimmer. Das würde Tage dauern, bis ich da etwas finden würde.«
    »Es sei denn, jemand hätte das schon einmal wissen wollen.«
    »Ganz genau«, sagte Rosa. »Das hat man nicht einfach so.
Da muss jemand anders schon einmal nachgefragt haben …
Aber jetzt passen Sie auf: Ich hatte nämlich Glück. Dieser Dr. Lauper …« Rosa las vom Blatt: »Also das ist ein emeritierter Professor für Völkerkunde und Mediävistik, lebt in der Nähe von Bonn. Und den konnte ich tatsächlich erreichen. Ist ein berühmter Mensch, der Mann; deshalb hab ich den ja auch gefunden bei Google . Und jetzt stellen Sie sich vor, Kommissario: Der kann sich an nichts mehr erinnern. Ein Professor! – Das ist doch ein gescheiter Mann, so einer. Und ich hab dann gefragt, weil ich das alles gar nicht

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