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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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auf dem Markt … Leute mit Doktortitel … So viele um uns herum wurden aus der Bahn geworfen. Sie sitzen auf dem Abstellgleis … warten auf irgendetwas … Der Mann meiner Nachbarin … Er war Pilot, Kommandeur einer Fliegerschwadron. Er wurde in die Reserve entlassen. Als sie ihre Arbeit verlor, hat sie sofort umgeschult – sie war Ingenieur gewesen und wurde Friseurin. Er aber sitzt zu Hause und trinkt aus Frust, er trinkt, weil er, ein Kampfflieger – er war in Afghanistan –, weil er den Kindern Brei kochen muss. Seine Frau verdient das Geld. Ja … Er ist auf alle böse. Wütend. Er war im Wehrkomitee, hat gebeten, ihn in irgendeinen Krieg zu schicken, zum Sondereinsatz, aber sie haben ihn nicht genommen. Das wollen zu viele. Bei uns gibt es ja Tausende arbeitsloser Militärs, Leute, die nichts anderes kennen als Maschinenpistolen und Panzer. Die untauglich sind für etwas anderes. Unsere Frauen müssen stärker sein als die Männer. Sie reisen mit ihren karierten Taschen durch die ganze Welt. Von Polen bis nach China. Kaufen und verkaufen. Auf ihren Schultern ruhen Haushalt, Kinder und die alten Eltern. Und ihre Männer. Und das Land. Das kann man keinem Fremden erklären … Meine Tochter hat einen Italiener geheiratet … Er heißt Sergio. Er ist Journalist. Wenn sie mich besuchen, diskutieren wir mit ihm in der Küche. Sergio meint, die Russen liebten das Leiden, das sei der Fokus des russischen Geistes. Für uns sei Leiden – eine »private Schlacht«, »der Weg zur Erlösung«. Die Italiener seien ganz anders, sie wollten nicht leiden, sie liebten das Leben, das Leben sei zum Freuen da, nicht zum Leiden. Bei uns ist das anders. Wir reden selten von Freude … Davon, dass das Glück eine ganze Welt ist. Eine unglaubliche Welt! Mit vielen Winkeln, Fenstern und Türen, für die man viele Schlüssel braucht. Doch uns zieht es immer in die dunklen buninschen Alleen 1 . Ja … Wenn er und meine Tochter aus dem Supermarkt kommen, trägt er die Taschen … Abends kann sie Klavier spielen, und er macht das Essen. Bei mir war das ganz anders: Wenn er nach den Taschen griff, nahm ich sie ihm ab: »Das mache ich selbst. Du darfst das nicht.« Wenn er in die Küche kam: »Hier ist nicht dein Platz. Marsch, ab an den Schreibtisch.« Ich habe immer Licht zurückgestrahlt. Erst sollte es ihm gutgehen … und dann erst mir …
    Ein Jahr war vergangen, vielleicht auch mehr … Er sollte zu mir nach Hause kommen … na, um alle kennenzulernen. Ich hatte ihn vorgewarnt, meine Mutter sei nett, aber meine Kleine … sie sei sehr … Wie sie ihn empfangen würde, dafür könne ich mich nicht verbürgen. Ach, meine Anka … Sie hielt sich immer alles ans Ohr: Spielsachen, Steine, Löffel … Die meisten Kinder nehmen alles in den Mund, aber sie hielt sich alles ans Ohr – wie es klingt! Ich habe sie sehr früh an Musik herangeführt, aber sie war ein sonderbares Kind, sobald ich eine Platte auflegte, drehte sie sich um und ging weg. Sie mochte keine fremde Musik, sie interessierte sich nur für das, was in ihr selbst klang. Also, Gleb kam, sehr verlegen, mit einem missglückten Haarschnitt, viel zu kurz, besonders schön war er nicht. Und er brachte Schallplatten mit. Er erzählte, wie er unterwegs gewesen sei … wie er diese Platten gekauft habe … Und Anka, die hat ein Gehör … sie hört nicht auf die Worte, sie hört anders … auf die Intonation … Sie griff sofort nach den Platten: »Was für ssöne Platten.« Ja, so war das … Nach einiger Zeit brachte sie mich in Verlegenheit: »Was, wenn ich plötzlich Papa zu ihm sage?« Er bemühte sich nicht, ihr zu gefallen, er fand es mit ihr einfach interessant. Die Liebe zwischen ihnen entstand auf Anhieb … Ich war sogar eifersüchtig und fand, dass sie einander mehr liebten als mich. Später sagte ich mir, dass meine Rolle eine andere sei … (Sie schweigt.) Er fragt sie zum Beispiel: »Anka, stotterst du?« »Jetzt nicht mehr so gut, aber früher habe ich gut gestottert.« Mit ihr war es nie langweilig. Man hätte mitschreiben mögen. Also: »Was, wenn ich plötzlich Papa zu ihm sage?« Wir saßen im Park … Gleb war Zigaretten holen gegangen und kam zurück. »Na, Mädchen, worüber redet ihr?« Ich zwinkere ihr zu – auf keinen Fall, das wäre dumm. Und sie: »Dann sag du.« Tja, was blieb mir übrig? Ich erkläre ihm: »Sie hat Angst, aus Versehen Papa zu dir zu sagen.« Und er: »Das ist natürlich ein schwieriger Fall, aber wenn du es unbedingt willst, sag

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