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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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wird es wieder Menschen geben. Mein Großvater hat immer gesagt, richtige Menschen habe er nur im Krieg gesehen. Jetzt gibt es wenig Güte.«
     
    »Zwei unbekannte Frauen standen an der Rolltreppe, umarmten sich und weinten, ihre Gesichter waren voller Blut, ich habe nicht begriffen, dass das Blut war, ich dachte, ihre Schminke wäre zerlaufen von den Tränen. Dort, vor Ort, habe ich nichts verstanden, ich sah das Blut und konnte es nicht glauben.«
     
    »Erst denkst du, du kannst einfach runtergehen in die Metro, du steigst mutig ein, aber nach ein, zwei Stationen springst du raus, in kalten Schweiß gebadet. Besonders schlimm ist es, wenn der Zug eine Weile in einem Tunnel stehen bleibt. Jede Minute dehnt sich, das Herz hängt an einem seidenen Faden …«
     
    »In jedem Kaukasier sieht man einen Terroristen …«
     
    »Meinen Sie, die russischen Soldaten hätten in Tschetschenien keine Verbrechen begangen? Mein Bruder hat dort gedient … Was der alles erzählt hat über die ruhmreiche russische Armee … Sie haben tschetschenische Männer in Gruben gehalten, wie Tiere, und von den Angehörigen Lösegeld verlangt. Sie haben gefoltert … geplündert … Jetzt trinkt er, der Junge.«
     
    »Du wirst wohl von Amerika bezahlt? Provokateur! Wer hat denn Tschetschenien für die Russen zum Ghetto gemacht? Die Russen haben ihre Arbeit verloren, die Wohnungen und die Autos wurden ihnen weggenommen. Wer seine Habe nicht hergeben wollte, der wurde abgestochen. Russische Mädchen wurden vergewaltigt, nur weil sie Russinnen waren.«
     
    »Ich hasse die Tschetschenen! Ohne uns Russen würden die noch heute in Berghöhlen hausen. Und die Journalisten, die für die Tschetschenen sind, die hasse ich auch! Liberalisten!« (Ein hasserfüllter Blick in meine Richtung – ich notiere das Gespräch.)
     
    »Wurden die russischen Soldaten während des Vaterländischen Krieges etwa für die Morde an deutschen Soldaten verurteilt? Und sie haben auf alle möglichen Arten getötet. Die Partisanen haben gefangene Polizisten in Stücke geschnitten … Hören Sie sich mal an, was die Veteranen so erzählen …«
     
    »Während des ersten Tschetschenienkrieges, unter Jelzin, wurde im Fernsehen alles ehrlich gezeigt. Wir sahen, wie tschetschenische Frauen weinten. Wie russische Mütter durch die Dörfer liefen und ihre verschollenen Söhne suchten. Niemand hat sie angerührt. So einen Hass wie heute hatte damals noch niemand – sie nicht und wir auch nicht.«
     
    »Damals stand nur Tschetschenien in Flammen, jetzt der ganze nördliche Kaukasus. Überall werden Moscheen gebaut.«
     
    »Die Geopolitik ist bei uns zu Hause angekommen. Russland zerfällt … Bald ist vom ganzen Imperium nur noch das Fürstentum Moskau übrig …«
     
    »Ich hasse sie!!!«
     
    »Wen?«
     
    »Alle!«
     
    »Mein Sohn hat noch sieben Stunden gelebt, sie haben ihn in einen Plastiksack gesteckt und in einen Bus voller Leichen gelegt … Sie schickten uns auf Staatskosten einen Sarg und zwei Kränze. Der Sarg war aus Spanplatten, dünn wie Pappe, als sie ihn anhoben, fiel er auseinander. Die Kränze waren billig, armselig. Wir haben alles selbst gekauft. Dem Staat sind wir Normalsterblichen doch scheißegal, und ich scheiße auf ihn – fuck! Ich will raus aus diesem Land. Mein Mann und ich, wir wollen auswandern nach Kanada, wir haben schon das Visum beantragt.«
     
    »Früher hat Stalin getötet, heute töten die Banditen. Ist das Freiheit?«
     
    »Ich habe schwarze Haare und schwarze Augen … Ich bin Russin, orthodox. Einmal ging ich mit meiner Freundin in die Metro. Miliz hielt uns an, ich wurde beiseitegeführt: ›Ziehen Sie den Mantel aus. Weisen Sie sich aus.‹ Meine Freundin interessierte sie nicht – sie ist blond. Meine Mutter sagt: ›Färb dir die Haare.« Aber das wäre mir peinlich.«
     
    »Der Russe ruht auf drei Stützen: ›hoffentlich‹, ›vielleicht‹ und ›irgendwie‹. In der ersten Zeit haben alle vor Angst gezittert, aber als ich nach einem Monat in der Metro unter der Bank ein verdächtiges Päckchen entdeckte, konnte ich die Aufsicht nur mit Mühe bewegen, die Miliz anzurufen.«
     
    »Am Flughafen Domodedowo haben die verdammten Taxifahrer die Preise in die Höhe geschraubt. Irrsinnig. Aus allem machen sie Geld. Scheißkerle – zerren dich aus dem Auto, und mit der Schnauze auf die Kühlerhaube!«
     
    »Die einen lagen in einer Blutlache, und die anderen haben sie mit dem Handy gefilmt. Fotografiert. Und die Aufnahmen

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