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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Hund. Dann wird Ihre Tochter aufstehen und wieder gehen. Das Mädchen wurde verhext.« Ich hab in meinem Leben nichts Gutes und Schönes gesehen … Das mit den Venen, das ist Scheiße, ich war bloß das Kämpfen leid … Seit meiner Kindheit sieht mein Leben so aus – nichts als Wodka im Kühlschrank. Bei uns im Dorf trinken alle ab zwölf. Guter Wodka ist teuer, also trinken sie Selbstgebrannten, Eau de Cologne, Fensterputzmittel und Azeton. Machen Schnaps aus Schuhwichse und aus Klebstoff. Die jungen Männer sterben, am Schnaps natürlich, weil sie sich vergiften. Ich weiß noch, unser Nachbar, wenn der betrunken war, schoss er mit Schrotkugeln auf den Apfelbaum. Zu Hause ließ er die ganze Familie antreten und richtete das Gewehr auf sie … Auch unser Großvater hat bis ins hohe Alter getrunken. Mit siebzig konnte er an einem Abend zwei Flaschen leeren. Darauf war er stolz. Er war mit Medaillen aus dem Krieg heimgekehrt. Ein Held! Er lief noch lange im Uniformmantel herum, trank, feierte, amüsierte sich. Und Großmutter arbeitete. Aber Großvater war ein Held … Großvater prügelte Großmutter brutal, ich flehte ihn auf Knien an, sie nicht anzurühren. Er jagte uns mit einer Axt … Wir übernachteten reihum bei verschiedenen Nachbarn. Im Schuppen. Den Hund hat er mit der Axt erschlagen. Nach Großvater hasste ich alle Männer. Ich wollte allein leben.
    Dann kam ich in die Stadt … Ich hatte Angst vor allem: vor den Autos und vor den Menschen. Aber alle gingen in die Stadt, also ging auch ich. Meine ältere Schwester lebte da, sie holte mich zu sich: »Du gehst auf die Fachschule, wirst Kellnerin. Du bist schön, Tomka. Such dir einen Offizier als Mann. Einen Flieger …« Na klar … einen Flieger … Mein erster Mann war klein und hinkte. Meine Freundinnen redeten auf mich ein: »Was willst du mit dem? Wo so tolle Kerle hinter dir her sind!« Aber ich schwärmte immer für Kriegsfilme, in denen die Frau auf ihren Mann wartete, der an der Front war, egal, wie er heimkehrte – ohne Beine, ohne Arme, Hauptsache, lebend. Großmutter hat erzählt: In unser Dorf war einer ohne beide Beine heimgekehrt, und seine Frau trug ihn auf den Armen herum. Doch er trank und randalierte. Wenn er in einen Graben fiel, holte sie ihn heraus, badete ihn im Waschtrog und setzte ihn aufs saubere Bett. Ich dachte, genau das wäre Liebe … Ich weiß nicht, was Liebe ist … Ich hatte Mitleid mit ihm, war zärtlich zu ihm. Wir bekamen drei Kinder, dann fing er an zu trinken, bedrohte mich mit dem Messer. Er ließ mich nicht im Bett schlafen … ich lag auf dem Fußboden … Ich bildete einen Reflex aus wie der pawlowsche Hund: Wenn der Mann ins Haus kam, lief ich mit den Kindern hinaus. Egal, woran ich mich erinnere – ich muss immer weinen … Oder ich möchte alles zum Teufel wünschen! Ich habe im Leben nichts Schönes gesehen, nur im Kino. Im Fernsehen. Sich einfach mal mit jemandem hinsetzen und zusammen träumen, sich freuen …
    Ich war schon mit dem zweiten Kind schwanger … Da kam aus dem Dorf ein Telegramm: »Komm zur Beerdigung. Mutter.« Davor hatte mir eine Zigeunerin auf dem Bahnhof wahrgesagt: »Du hast eine weite Reise vor dir. Du wirst deinen Vater begraben und lange weinen.« Ich habe ihr nicht geglaubt. Mein Vater war gesund und ein ruhiger Mensch. Mutter trank, sie goss sich schon am Morgen was ein, und er melkte die Kuh, kochte Kartoffeln – alles machte er allein. Er hat sie sehr geliebt, sie hat ihn behext, mit irgendeinem Zaubertrank. Ich fuhr nach Hause … Ich saß am Sarg und weinte. Das kleine Mädchen der Nachbarn flüsterte mir zu: »Die Oma hat den Opa mit dem Schmortopf erschlagen, aber sie hat gesagt, ich soll den Mund halten. Sie hat mir Schokolade dafür versprochen …« Mir wurde ganz elend, mir wurde übel – vor Angst … Vor Entsetzen … Als ich allein in der Hütte war, als alle weggegangen waren, zog ich meinen Vater aus und suchte nach blauen Flecken. Ich fand keine, nur eine große Schramme auf dem Kopf. Ich zeigte sie meiner Mutter, und sie sagte, Vater sei beim Holzhacken ein Scheit an den Kopf geflogen. Ich heulte die ganze Nacht … ich saß bei meinem Vater und hatte das Gefühl, dass er mir etwas sagen wolle … Mutter wich mir nicht von der Seite, sie blieb die ganze Nacht nüchtern und ließ mich nicht aus den Augen. Am Morgen sehe ich – unter Vaters Wimpern quillt eine blutige Träne hervor. Eine … dann noch eine … Die Tränen flossen wie bei einem Lebenden … Das

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