Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)
alles hat, fehlt ihm trotzdem irgendetwas. Aber er lebt weiter. Irgendwie ertragen das alle. Sie dagegen: »Jura, du bist ein guter Mensch, du bist mir der beste Freund. Und er hat sein halbes Leben im Gefängnis gesessen, aber ich brauche ihn. Ich liebe ihn. Wenn du mich nicht gehen lässt, sterbe ich. Ich werde weiter alles tun, was sich gehört, aber ich werde tot sein.« Das Schicksal, das ist so eine Sache …
Sie verließ uns und ging fort. Die Kinder vermissten sie sehr, sie weinten lange, besonders der Kleine. Unser Matwejka … Sie warteten ständig auf ihre Mama, sie warten noch jetzt auf sie. Auch ich warte. Sie hat uns geschrieben: »Verkauft nur das Klavier nicht.« Das einzige teure Stück in unserem Haus, sie hat es von ihren Eltern geerbt. Ihr geliebtes Klavier … Abends saßen wir oft zusammen, und sie spielte für uns … Wie könnte ich das Klavier verkaufen? Auch sie kann mich nicht aus ihrem Leben streichen, als hätte es mich nicht gegeben, das ist unmöglich. Wir haben fünfzehn Jahre zusammengelebt, wir haben Kinder. Sie ist ein guter Mensch, aber sie ist anders. Irgendwie nicht von dieser Welt … Wie schwerelos … ja, schwerelos … Ich dagegen bin ein irdischer Mensch. Ich bin einer … einer, der am Boden haftet …
In der Lokalzeitung erschien ein Artikel über uns. Dann wurden wir nach Moskau eingeladen, ins Fernsehen. Das war so: Du sitzt da, wie auf einer Bühne, erzählst von dir, und rundherum sitzen Zuschauer. Danach wird diskutiert. Alle beschimpften Lena, besonders die Frauen: »Psychopathin! Sexbesessene!« Sie hätten sie am liebsten gesteinigt. »Das ist krank, das ist nicht recht.« Dann stellten sie mir Fragen … Ein Knockout nach dem anderen … »Sie ist eine läufige Hündin, sie hat Sie und die Kinder verlassen, sie ist Ihren kleinen Finger nicht wert. Sie sind ein Heiliger. Im Namen aller russischen Frauen verneige ich mich tief vor Ihnen …« Ich wollte antworten … fing an … Da hieß es: »Ihre Zeit ist um.« Ich fing an zu weinen. Alle dachten, ich weinte, weil ich verletzt sei und vor Wut. Aber ich weinte, weil sie, die doch so klug und gebildet sind und in der Hauptstadt leben, weil sie nichts verstanden.
Ich werde auf sie warten, solange es nötig ist. Solange sie will … Ich kann mir keine andere Frau an meiner Seite vorstellen. Aber manchmal … da überkommt mich plötzlich ein Begehren …
Aus Dorfgesprächen
»Lena ist ein Engel …«
»Früher hat man solche Frauen in die Kammer gesperrt oder einen Strick genommen und …«
»Wäre sie zu einem Reichen gegangen, könnte man das ja verstehen. Das Leben mit einem Reichen ist interessanter. Aber eine Beziehung mit einem Banditen? Noch dazu mit einem Lebenslänglichen? Zwei Besuche im Jahr, das ist alles. Das ist die ganze Liebe.«
»Eine romantische Natur. Soll sie ruhig zu ihm fahren.«
»Das liegt uns im Blut – das Mitleid mit den Unglücklichen. Mit Mördern und Trinkern. Da tötet einer einen Menschen, aber er hat Augen wie ein Baby. Und tut einem leid.«
»Ich traue den Männern generell nicht, und Häftlingen schon gar nicht. Die langweilen sich im Gefängnis, da amüsieren sie sich auf ihre Weise und schreiben reihenweise Briefe: Mein weißer Schwan, ich träume von Dir, mein Licht im Fenster … Irgendein Dummchen fällt darauf rein und will ihn retten, schleppt ihm Riesenpakete hin, schickt ihm Geld. Wartet auf ihn. Dann wird er entlassen, kommt zu ihr, isst und trinkt, leiert ihr Geld aus dem Kreuz – und eines schönen Tages macht er sich aus dem Staub. Und ciao, ciao!«
»Mädels, das ist so eine Liebe! Wie im Kino!«
»Sie hat einen Mörder geheiratet und dafür ihren guten Mann verlassen. Außerdem hat sie doch Kinder … drei Jungs … Allein so eine Fahrkarte zu kaufen, sie muss ja an den Arsch der Welt fahren – wo nimmt sie denn das Geld dafür her? Sie stiehlt es ihren Kindern vom Munde weg. Wenn sie im Laden steht, muss sie immer überlegen: Kaufe ich ihnen Brötchen oder nicht?«
»Die Frau soll ihren Mann fürchten … Sie gehen zusammen zu Gott. Aber einfach so … bloß so – wozu? Ohne dieses Ziel – wozu?«
»Ohne mich, sagt der Herr, könnt ihr nichts tun. Sie aber versucht, aus eigenem Willen zu handeln. Das ist Hochmut. Wo die Demut fehlt, da ist immer eine andere Kraft am Werk. Da wirkt der Teufel.«
»Sie sollte ins Kloster gehen, den Weg der Erlösung suchen. Der Mensch findet Erlösung in der Trauer. Man
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