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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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ist bei uns etwas Existentielles … Stürzt die Götter! Die Fabriken den Arbeitern! Den Boden den Bauern! Die Flüsse den Bibern! Die Höhlen den Bären! An die Stelle der Demonstrationen auf den Straßen und der Übertragungen der Kongresse der Volksdeputierten traten nun mexikanische Serien … Ich studierte zwei Jahre lang … Dann schmiss ich das Studium. Mir taten meine Eltern leid, man sagte ihnen offen: Ihr seid jämmerliche Sowki, euer Leben ist keine Prise Tabak wert, ihr seid schuld an allem, seit Noahs Arche, ihr werdet nicht mehr gebraucht. Das ganze Leben schuften, und am Ende – nichts. Das alles hat sie erschüttert, hat ihre Welt zerstört, sie haben sich nicht davon erholt, sie konnten die scharfe Wendung nicht mitmachen. Mein jüngerer Bruder wusch nach dem Unterricht Autos, handelte in der Metro mit Kaugummi und allem Möglichen und verdiente mehr als mein Vater … Mein Vater war Wissenschaftler. Dr. habil.! Sowjetische Elite! In den nichtstaatlichen Geschäften gab es nun Wurst, alle liefen hin, zum Schauen. Und sahen die Preise! So kam der Kapitalismus in unser Leben …
    Ich wurde Transportarbeiter. Das war ein Glück! Wenn ich mit meinem Freund eine Fuhre Zucker entlud, bekamen wir Geld und jeder einen Sack Zucker. Ein Sack Zucker, das war in den Neunzigern ein Vermögen! Geld! Geld! Der Beginn des Kapitalismus … Man konnte an einem Tag Millionär werden oder eine Kugel in den Kopf bekommen. Wenn heute davon die Rede ist … Dann heißt es: Es hätte zum Bürgerkrieg kommen können … Wir standen kurz vor dem Abgrund! Ich habe das nicht gespürt. Ich erinnere mich, dass die Straßen sich geleert hatten, niemand war mehr auf den Barrikaden. Kaum jemand abonnierte und las noch Zeitungen. Die Männer auf der Straße schimpften erst auf Gorbatschow und dann auf Jelzin, weil der Wodka teurer geworden war. Ein Anschlag auf das Allerheiligste! Ein wilder, unbegreiflicher Eifer erfasste alle. Es roch nach Geld. Nach großem Geld. Und es herrschte absolute Freiheit – keine Partei mehr und keine Regierung. Alle wollten »Kohle« machen, und wer keine Kohle machen konnte, beneidete die, die es konnten. Der eine verkaufte, ein anderer kaufte … der eine deckte illegale Geschäfte, ein anderer kassierte Schutzgeld … Als ich meine erste Kohle verdient hatte, ging ich mit Freunden ins Restaurant. Wir bestellten Wodka-Martini, Royal – das war damals super! Wir wollten auch mal so ein Cocktailglas in der Hand halten. Ein bisschen angeben. Dazu rauchten wir Marlboro. Genau wie wir es bei Remarque gelesen hatten. Wir lebten lange nach solchen Bildern. Die neuen Geschäfte … die Restaurants … das alles war wie eine Kulisse aus einem fremden Leben …
    … ich verkaufte heiße Würstchen. Da kam irre Kohle zusammen …
    … exportierte Wodka in die Türkei … Eine ganze Woche lang saß ich mit meinem Partner in einem Güterwaggon. Die Axt immer griffbereit. Und eine Brechstange. Hätte jemand erfahren, was wir transportierten – wir wären getötet worden! Zurück deckten wir uns mit Frotteehandtüchern ein …
    … dann Kinderspielzeug … Einmal wurde ich eine ganze Partie auf einmal los und bekam dafür eine Ladung kohlensäurehaltige Getränke, die tauschte ich gegen einen LKW Sonnenblumenkerne, dafür kriegte ich in der Ölmühle Öl, das habe ich teils verkauft, teils gegen Teflonpfannen und -bügeleisen getauscht …
    … jetzt bin ich im Blumengeschäft … Ich habe gelernt, Rosen »einzusalzen« … Man schüttet heißes Salz in einen Pappkarton – mindestens einen Zentimeter dick, legt die halb aufgeblühten Rosen darauf und schüttet noch einmal Salz darüber. Dann einen Deckel drauf und das Ganze in einen großen Plastiksack. Fest zubinden. Nach einem Monat … einem Jahr rausholen, mit Wasser abspülen … Sie können jederzeit kommen. Hier, meine Visitenkarte …
    Der Basar wurde unsere Universität … Ein großes Wort – Universität, aber die Grundschule des Lebens war er auf jeden Fall. Dorthin ging man wie ins Museum. Wie in eine Bibliothek. Junge Männer und Mädchen liefen wie Zombies durch die Reihen … mit irren Gesichtern … Ein Paar bleibt vor chinesischen Epilatoren stehen … Sie erklärt ihm, wie wichtig das Epilieren ist. »Das möchtest du doch, nicht? Du möchtest, dass ich aussehe wie …« An den Namen der Schauspielerin erinnere ich mich nicht … Marina Vlady vielleicht oder Catherine Deneuve … Millionen diverser neuer Schachteln und Dosen. Sie wurden

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