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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Prodraswjorstka – Abk. für »prodowolstwennaja raswjorstka« – Getreideablieferungspflicht; die Bauern mussten sämtliches Getreide an den Staat abliefern.
    Prodotrjad – Abk. für »prodowolstwenny otrjad« – bewaffnete Arbeiter- und Bauerntruppen, die das abzuliefernde Getreide eintrieben.
    Lischenez – von »lischitj« – berauben; jemand, der seiner bürgerlichen Rechte beraubt wurde (z.B. wegen seiner Herkunft).
    Kombed – Abk. für »komitet bednosti« – Komitee der Dorfarmut.
    Porashenez – von »porashenie« – Niederlage: Jemand, dem vorgeworfen wurde, auf die Niederlage des eigenen Landes im Krieg zu hoffen.
    Powtornik – von »powtor« – Wiederholung: Wiederholungstäter bzw. jemand, der zum wiederholten Mal verurteilt wurde.
     
    XXIII Oktjabr – russ. »Oktober«.
     
    XXIV ljublju Lenina – russ. »Ich liebe Lenin«.

VON DER GRAUSAMKEIT DER FLAMMEN
UND DER RETTUNG VON OBEN
     
Timerjan Sinatow – Frontveteran, 77 Jahre alt
     
Aus kommunistischen Medien
     
    Timerjan Chabulowitsch Sinatow ist einer der heldenhaften Verteidiger der Festung Brest, die als Erste den Überfall der Hitlertruppen am Morgen des 22. Juni 1941 erlebte.
    Nationalität – Tatar. Vor dem Krieg – Schüler einer Regimentsschule (42. Schützenregiment der 44. Schützendivision). In den ersten Tagen der Verteidigung der Festung wurde er verwundet. Geriet in Gefangenschaft. Floh zweimal aus einem deutschen Konzentrationslager – das zweite Mal mit Erfolg. Er beendete den Krieg in der kämpfenden Truppe, wie er ihn begonnen hatte – als einfacher Soldat. Für die Verteidigung der Festung Brest wurde er mit dem Orden des Vaterländischen Krieges 2. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg zog er durch das ganze Land, arbeitete auf Baustellen im hohen Norden und beim Bau der BAM 1 und blieb dann als Rentner in Sibirien. In Ust-Kut.
    Obwohl es von Ust-Kut bis Brest viele Tausend Kilometer sind, kam Timerjan Sinatow jedes Jahr in die Festung Brest und brachte den Mitarbeitern des Museums immer eine Torte mit. Alle kannten ihn. Warum er die Festung so oft besuchte? Genau wie seine Regimentskameraden, mit denen er sich hier traf, fühlte er sich nur in der Festung geschützt. Hier bezweifelte nie jemand, dass sie echte Helden waren, keine ausgedachten. In der Festung wagte ihnen niemand ins Gesicht zu sagen: »Wenn ihr nicht gesiegt hättet, würden wir heute bayerisches Bier trinken. Und in Europa leben.« Diese erbärmlichen Perestroika-Anhänger! Wenn sie wüssten – hätten ihre Großväter nicht gesiegt, wären wir ein Land der Dienstmädchen und Schweinehirten geworden. Hitler hat geschrieben, die slawischen Kinder müssten nur bis hundert zählen lernen …
    Zum letzten Mal kam Sinatow im September 1992 nach Brest, alles war wie immer: Er traf sich mit seinen Frontkameraden, lief durch die Festung. Natürlich bemerkte er, dass der Besucherstrom deutlich nachgelassen hatte. Es ist inzwischen ja Mode geworden, unsere sowjetische Vergangenheit und ihre Helden zu verleumden.
    Dann wurde es Zeit für die Heimreise … Am Freitag verabschiedete er sich von allen und sagte, er werde am Wochenende nach Hause fahren. Niemand hätte gedacht, dass er diesmal in die Festung gekommen war, um für immer hierzubleiben.
    Als die Mitarbeiter des Museums am Montag zur Arbeit kamen, erhielten sie einen Anruf von der Staatsanwaltschaft: Ein Verteidiger der Festung Brest, der den blutigen Kessel 1941 überlebt hatte, habe sich unter einen Zug geworfen …
    Irgendwer erinnerte sich dann an einen akkurat gekleideten alten Mann mit einem Koffer, der lange auf dem Bahnsteig stand. Er hatte 7000 Rubel bei sich, die er für seine Beerdigung von zu Hause mitgebracht hatte, und einen Brief mit Verwünschungen gegen die Regierung Jelzin–Gaidar – für die bittere Armut, in die sie alle gestürzt habe. Für den Verrat am Großen Sieg. Und mit der Bitte, ihn in der Festung zu begraben.
Aus dem Abschiedsbrief:
     
    »… wäre ich damals im Krieg an meinen Wunden gestorben, hätte ich gewusst: Ich sterbe für die Heimat. Nun aber sterbe ich an diesem Hundeleben. Schreibt das ruhig auf meinen Grabstein. Haltet mich nicht für verrückt …
    … Ich möchte lieber stehend sterben als auf Knien um die erbärmliche Unterstützung für mein Alter bitten und bis ans Grab mit ausgestreckter Hand leben! Also, meine Lieben, verurteilt mich nicht zu hart und versetzt Euch in meine Lage. Etwas Geld hinterlasse ich, wenn es nicht gestohlen wird, ich

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