Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
Vom Netzwerk:
kaputt!‹«
     
    »Meine größte Angst war, in Schande zu sterben. Wer feige war und weglief, der wurde vom Kommandeur auf der Stelle erschossen … Das war ganz normal …«
     
    »Nun, wie soll ich sagen … Wir waren ja stalinistisch erzogen: Wir werden den Feind auf seinem Territorium schlagen und ›Von der Taiga bis zum britischen Meer, keiner ist stärker als unser Rotes Heer …‹ 6 . Kein Erbarmen mit dem Feind! Die ersten Kriegstage … Das war in meiner Erinnerung ein einziger Albtraum … Wir gerieten in einen Kessel … Jeder fragte sich: Was ist los? Wo ist Stalin? Am Himmel kein einziges sowjetisches Flugzeug … Wir vergruben unsere Partei- und Komsomolausweise und irrten durch die Wälder … Schon gut, genug … Darüber sollten Sie nicht schreiben … (Er schiebt das Diktiergerät von sich.) Die Deutschen agitierten, rund um die Uhr dröhnten ihre Lautsprecher: ›Russischer Iwan, ergib dich! Die deutsche Armee garantiert dir Leben und Brot.‹ Ich war bereit, mich zu erschießen. Aber womit! Ich hatte nichts! Keine Patronen … Blutjunge Soldaten … wir waren achtzehn, neunzehn Jahre alt … Die Kommandeure erhängten sich reihenweise. Der eine mit seinem Koppel, der Nächste … ganz verschieden … Sie hingen an den Kiefern … Das war das Ende, verdammt!«
     
    »Heimat oder Tod!«
     
    »Stalin hatte einen Plan – die Familien derjenigen, die sich in Gefangenschaft begeben hatten, sollten nach Sibirien verbannt werden. Drei Millionen Gefangene! Alle kann man nicht verbannen! Dieser blutrünstige Schnauzbart!«
     
    »Das verfluchte Jahr 41 …«
     
    »Red ruhig … jetzt darf man …«
     
    »Ich bin’s nicht gewohnt …«
     
    »Auch an der Front hatten wir Angst, offen miteinander zu reden. Vor dem Krieg wurden Leute eingesperrt … und während des Krieges auch. Meine Mutter arbeitete in einer Brotfabrik, und bei einer Kontrolle fand man an ihren Handschuhen Brotkrumen, das galt schon als Sabotage. Sie bekam zehn Jahre Gefängnis. Ich an der Front, Vater an der Front, meine beiden kleinen Geschwister blieben mit der Großmutter allein; sie baten sie: ›Oma, du darfst nicht sterben, bevor Papa und Saschka (das bin ich) aus dem Krieg zurückkommen.‹ Mein Vater ist verschollen.«
     
    »Was sind wir schon für Helden? Uns hat nie jemand wie Helden behandelt. Unsere Kinder haben meine Frau und ich in einer Baracke großgezogen, später zogen wir in eine Gemeinschaftswohnung. Heute bekommen wir nur Kopeken … zum Heulen, von wegen Rente … Im Fernsehen zeigen sie, wie gut die Deutschen leben. Den Besiegten geht es hundertmal besser als den Siegern.«
     
    »Gott weiß nicht, was es heißt, ein kleiner Mensch zu sein.«
     
    »Ich war, bin und bleibe Kommunist! Ohne Stalin und ohne die Partei Stalins hätten wir nicht gesiegt. Scheißdemokratie! Ich habe Angst, meine Kriegsorden anzulegen. ›Du seniler Alter, wo hast du denn gedient? An der Front oder in Gefängnissen und Lagern?‹ So was bekomme ich von jungen Leuten zu hören. Sie trinken Bier und verspotten mich.«
     
    »Ich schlage vor, die Denkmäler für unseren Führer, den großen Stalin, wieder aufzustellen. Sie werden in Hinterhöfen versteckt wie Müll.«
     
    »Stell sie bei dir auf der Datscha auf …«
     
    »Sie wollen den Krieg umschreiben. Sie warten nur, bis wir alle abgekratzt sind.«
     
    »Jetzt sind wir also ›Sowjetikus debilius‹ …«
     
    »Russlands Rettung war seine Größe. Der Ural … Sibirien …«
     
    »Das Schlimmste war der Beginn einer Attacke. Die ersten zehn, die ersten fünf Minuten … Wer als Erster aufstand, hatte keine Chance zu überleben. Die Kugel findet ihren Weg. Kommunisten, voran!«
     
    »Auf die militärische Macht unserer Heimat!« (Sie stoßen an.)
     
    »Also … keiner tötet gern. Es ist unangenehm. Aber man gewöhnt sich daran … man lernt es …«
     
    »Vor Stalingrad bin ich in die Partei eingetreten. Ich schrieb in meinen Antrag: ›Ich möchte in den vordersten Reihen der Verteidiger unserer Heimat stehen … Ich werde mein junges Leben nicht schonen …‹ Bei der Infanterie gab es selten Auszeichnungen. Ich habe eine Medaille – ›Für Tapferkeit‹.«
     
    »Die Kopfverletzungen aus dem Krieg machen mir zu schaffen … Ich bin Invalide, aber noch halte ich durch.«
     
    »Ich erinnere mich: Wir hatten zwei Wlassow-Soldaten 7 gefangen genommen. Einer sagte: ›Ich wollte meinen Vater rächen.‹ Sein Vater war vom NKWD erschossen worden. Ein anderer: ›Ich

Weitere Kostenlose Bücher