Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
Vom Netzwerk:
Die Toten in die Erde – die Lebenden an den Tisch. Es sind viele Menschen versammelt, einige kommen von weit her: aus Moskau, aus Kiew, aus Smolensk … Alle mit Orden und Medaillen, wie am Tag des Sieges. Sie reden über den Tod wie über das Leben.
     
    »Auf unseren gefallenen Kameraden! Ein bitterer Schluck.« (Alle stehen auf.)
     
    »Möge die Erde ihm leicht sein …«
     
    »Ach, Timerjan … Timerjan Chabulowitsch … Er war gekränkt. Wir alle sind sehr gekränkt. Wir waren an den Sozialismus gewöhnt. An unsere sowjetische Heimat, die UdSSR . Und nun leben wir in verschiedenen Ländern, in einer anderen Gesellschaftsordnung. Unter anderen Fahnen. Nicht mehr unter unserem siegreichen roten Banner … Ich bin mit siebzehn heimlich an die Front gegangen …«
     
    »Unsere Enkel hätten den Großen Vaterländischen Krieg verloren. Sie haben keine Idee, keinen großen Traum.«
     
    »Sie lesen andere Bücher und schauen andere Filme.«
     
    »Du erzählst ihnen was … und für sie sind das alles schon Märchen … Sie stellen Fragen wie: ›Warum sind die Soldaten gestorben, um das Regimentsbanner zu retten? Hätte man nicht einfach ein neues nähen können?‹ Wir haben gekämpft, getötet – und für wen? Für Stalin? Nein, für dich, du Dummkopf!«
     
    »Wir hätten uns ergeben sollen, den Deutschen die Stiefel lecken …«
     
    »Als die Nachricht kam, dass mein Vater gefallen war, hab ich mich sofort an die Front gemeldet.«
     
    »Sie plündern unsere sowjetische Heimat aus … verkaufen sie … Hätten wir gewusst, dass es einmal so kommt, hätten wir uns noch überlegt …«
     
    »Meine Mutter ist im Krieg gestorben, mein Vater schon vorher, an Tuberkulose. Ich bin mit fünfzehn arbeiten gegangen. Im Betrieb bekamen wir ein halbes Brot am Tag, sonst nichts, und was war das für ein Brot – Zellulose und Kleister. Ich fiel vor Hunger in Ohnmacht – einmal … ein zweites Mal … Dann ging ich ins Wehrkomitee: Lasst mich nicht sterben. Schickt mich an die Front. Sie erfüllten mir die Bitte. Alle hatten irre Augen – diejenigen, die an die Front gingen, genau wie diejenigen, die sie verabschiedeten. Wir waren ein ganzer Waggon voller Mädchen. Wir sangen: ›Mädels, dieser Krieg, er tobt schon am Ural, ach Mädels, ist die Jugend schon dahin?‹ An den Bahnstationen blühte der Flieder … manche Mädchen lachten, andere weinten …«
     
    »Wir waren alle für die Perestroika. Für Gorbatschow. Aber nicht für das, was daraus geworden ist …«
     
    »Gorbatsch ist ein Agent …«
     
    »Ich habe nicht verstanden, was Gorbatschow redete … er benutzte lauter unverständliche Wörter, die ich noch nie gehört hatte … Was für ein Bonbon hat er uns versprochen? Aber ich hörte ihm gern zu … Doch er hat sich als schwach erwiesen, hat kampflos den Atomkoffer aufgegeben. Und unsere Kommunistische Partei …«
     
    »Der Russe braucht eine Idee, von der er eine Gänsehaut kriegt und die ihm Schauer über den Rücken jagt.«
     
    »Wir waren ein großes Land …«
     
    »Auf unsere Heimat! Auf den Sieg! Auf ex!« (Sie stoßen an.)
     
    »Heute sind Sterne auf den Grabsteinen … Aber ich weiß noch, wie wir unsere Jungs begraben haben … Die Grube irgendwie zugeschüttet, Sand drauf, und schon hieß es: Vorwärts, vorwärts! Und wir rannten weiter. Ins nächste Gefecht. Und wieder eine Grube voller Toter. Wir rückten vor und zurück von Grube zu Grube. Wenn wir Verstärkung geschickt kriegten, waren nach zwei, drei Tagen wieder alle tot. Nur wenige überlebten. Glückspilze! Ende 43 hatten wir dann kämpfen gelernt. Nun konnten wir es richtig. Da fielen dann schon weniger Leute … Damals habe ich Freunde gefunden …«
     
    »Den ganzen Krieg an vorderster Front, und nicht ein Kratzer, nichts! Und ich bin Atheist. Ich bin bis Berlin gekommen … habe die Höhle des Untiers gesehen …«
     
    »Wir zogen in den Kampf mit einem Gewehr für vier Mann. Wenn der erste getötet wurde, nahm der zweite das Gewehr, dann der nächste … Die Deutschen hatten nagelneue Automatikgewehre.«
     
    »Anfangs waren die Deutschen hochmütig. Sie hatten schon ganz Europa erobert. Hatten Paris genommen. Sie dachten, in zwei Monaten würden sie mit der UdSSR fertig werden. Wenn sie verwundet in Gefangenschaft gerieten, spuckten sie unseren Krankenschwestern ins Gesicht. Rissen sich die Verbände herunter. Riefen: ›Heil Hitler!‹ Aber gegen Kriegsende dann: ›Russki, nicht schießen! Hitler

Weitere Kostenlose Bücher