Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)
Kinder. Sie hatte in ihrem Keller einen verwundeten Partisan versteckt. Irgendwer hat sie denunziert … Die Familie wurde mitten im Dorf erhängt. Die Kinder zuerst … Wie sie geschrien hat! So schreit kein Mensch … so schreien Tiere … Muss ein Mensch solche Opfer bringen? Ich weiß es nicht. (Er schweigt.) Heute schreiben Leute über den Krieg, die ihn nie erlebt haben. Ich lese das nicht … Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich lese das nicht …
Dann wurde Minsk befreit … Da war der Krieg für mich zu Ende, die Armee wollte mich wegen meines Alters nicht nehmen. Ich war fünfzehn. Wo sollte ich leben? In unserer Wohnung hatten sich andere Leute niedergelassen. Sie jagten mich davon: »Verdammter Jidd …« Nichts wollten sie wieder rausrücken, weder die Wohnung noch unsere Sachen. Sie hatten sich an den Gedanken gewöhnt, dass die Juden nie mehr zurückkommen würden …
(Ein unsicherer Chor:) »Das Öfchen im Unterstand brennt – eine Träne das Harz auf dem Scheit. Die Harmonika singt mir ein Lied, das von dir spricht, von deinem Gesicht …« 9
»Nach dem Krieg waren die Menschen nicht mehr die gleichen. Ich selbst bin verbittert heimgekehrt.«
»Stalin mochte unsere Generation nicht. Er hasste sie. Weil wir die Freiheit gespürt hatten. Der Krieg, das war für uns Freiheit! Wir waren in Europa gewesen, hatten gesehen, wie die Menschen dort lebten. Ich kam auf dem Weg zur Arbeit immer am Stalin-Denkmal vorbei, und jedes Mal brach mir der kalte Schweiß aus: Wenn er nun erfährt, was ich denke?«
»›Zurück! In den Stall!‹ – hieß es. Und wir gehorchten.«
»Die Scheißdemokraten! Haben alles zerstört … wir stecken in der Scheiße …«
»Ich habe alles vergessen … die Liebe habe ich vergessen … Aber an den Krieg erinnere ich mich …«
»Zwei Jahre bei den Partisanen. Im Wald. Nach dem Krieg konnte ich sieben … acht Jahre lang keinen Mann sehen. Ich hatte genug gesehen! Ich war völlig apathisch. Ich fuhr mit meiner Schwester in ein Ferienheim … Männer flirteten mit uns, sie tanzte, aber ich wollte meine Ruhe. Ich habe spät geheiratet. Mein Mann war fünf Jahre jünger als ich. Er war wie ein unschuldiges Mädchen.«
»Ich ging an die Front, weil ich alles glaubte, was in der Prawda stand. Ich habe geschossen. Ich wollte töten – wollte es leidenschaftlich! Töten! Früher wollte ich das alles vergessen, nun vergesse ich es ganz von selbst. An eines erinnere ich mich: dass der Tod im Krieg anders riecht … Mord hat einen besonderen Geruch … Wenn nicht viele Tote daliegen, sondern nur ein einzelner, überlegt man: Wer ist er? Woher kommt er? Irgendwer wartet doch bestimmt auf ihn …«
»Bei Warschau … Eine alte Polin brachte mir Sachen ihres Mannes. ›Zieh alles aus. Ich wasche es dir. Ihr seid so schmutzig und so dünn. Wie konntet ihr siegen?‹ Ja – wie konnten wir siegen?«
»Na, na, lass mal die Lyrik beiseite …«
»Wir haben gesiegt, ja. Aber unser großer Sieg hat unser Land nicht groß gemacht.«
»Ich werde als Kommunist sterben. Die Perestroika ist eine Operation der CIA zur Vernichtung der UdSSR .«
»Was ist mir in Erinnerung geblieben? Das Verletzendste war, dass die Deutschen uns verachteten. Wie wir lebten … unsere Lebensbedingungen … Hitler nannte die Slawen Kaninchen …«
»Die Deutschen kamen in unser Dorf. Es war Frühling. Am nächsten Tag legten sie ein Blumenbeet an und bauten eine Toilette. Daran erinnern sich die alten Leute noch heute … dass die Deutschen Blumen pflanzten …«
»In Deutschland … Wir gingen in die Häuser und sahen: in den Schränken solide Kleidung und Wäsche, Nippes. Berge von Geschirr. Dabei hatte man uns vor dem Krieg erzählt, sie würden unter dem Kapitalismus leiden. Wir schauten und schwiegen. Wehe, du lobst ein deutsches Feuerzeug oder ein Fahrrad. Dann wanderst du ein – Paragraph 58, antisowjetische Propaganda. Irgendwann … Da durften wir Pakete nach Hause schicken: ein General fünfzehn Kilo, ein Offizier zehn, ein Soldat fünf Kilo. Die Post brach fast zusammen. Meine Mutter schrieb: ›Schick uns keine Pakete. Wegen deiner Pakete werden wir noch umgebracht.‹ Ich hatte ihnen Feuerzeuge geschickt, Uhren, ein Stück Seide … Und dicke Schokoladenriegel … sie dachten, das wäre Seife …«
»Es gab keine Deutsche zwischen zehn und achtzig, die wir nicht gefickt hätten! Alle, die dort 1946 geboren wurden, sind
Weitere Kostenlose Bücher