Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)
Die Liebe ist Gift …
Zwei Häuser weiter wohnte ein Bursche, dem ich auch gefiel, beim Tanz forderte er mich immer auf. Er tanzte nur mit mir. »Ich bringe dich nach Hause.« »Ich habe schon einen Begleiter.« Ein hübscher Kerl … Er ist in den Wald gegangen. Zu den Partisanen. Es hieß, irgendwer habe gesehen, dass er eine Mütze mit einem roten Band trug. Eines Nachts klopfte es an die Tür. »Wer da?« »Partisanen.« Herein kommen dieser Bursche und noch jemand, ein älterer Mann. Mein Kavalier sagt: »Na, wie geht’s dir, Polizeifrauchen? Ich wollte dich schon lange mal besuchen. Wo ist denn dein Mann?« »Woher soll ich das wissen? Er ist heute nicht gekommen. Ist wohl in der Garnison geblieben.« Da packte er mich am Arm und schleuderte mich gegen die Wand: deutsches Püppchen … Matratze … als Nutte beschimpft hat er mich und schlimmer … Einen deutschen Lakaien hätte ich genommen, aber ihm gegenüber das Rührmichnichtan gespielt. Dann griff er zur Pistole. Meine Mutter fiel vor ihm auf die Knie. »Schießt nur, Jungs, schießt. Ich war als junges Mädchen mit euren Müttern befreundet. Sollen auch sie weinen.« Irgendwie machten diese Worte auf sie Eindruck. Sie redeten miteinander und gingen dann. (Sie schweigt.) Die Liebe, das ist bitter, sehr bitter …
Die Front rückte immer näher. Nachts hörte man schon Kanonendonner. Eines Nachts bekamen wir Besuch. »Wer da?« »Partisanen.« Mein Kavalier kommt herein … und noch einer. Mein Kavalier zeigt mir seine Pistole: »Mit dieser Pistole habe ich deinen Mann getötet.« »Das ist nicht wahr! Nicht wahr!« »Dein Mann lebt nicht mehr.« Ich dachte, ich würde ihn töten … ich würde … ihm die Augen auskratzen … (Sie schweigt.) Am Morgen brachten sie meinen Iwan … Mit einem Schlitten … auf einem Mantel … Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht sah ganz kindlich aus. Er hatte doch niemanden getötet … Ich glaubte ihm das! Ich glaube es noch heute! Ich wälzte mich auf dem Fußboden und heulte. Meine Mutter fürchtete, ich würde den Verstand verlieren und mein Kind würde tot oder nicht normal geboren, und lief zur Heilerin. Zu Oma Stassja. »Ich weiß von deinem Kummer«, sagte sie zu meiner Mutter, »aber da bin ich machtlos. Deine Tochter muss sich an Gott wenden.« Und sie lehrte sie, wie … Wenn Iwan zu Grabe getragen würde, sollte ich nicht hinter dem Sarg gehen, wie alle, sondern voran. Bis zum Friedhof. Durch das ganze Dorf … Gegen Kriegsende waren viele Männer im Wald. Als Partisanen. In jeder Hütte war jemand gefallen. (Sie weint.) Und ich lief … vor dem Sarg eines Polizisten … Ich voran, meine Mutter hinter dem Sarg. Alle Leute kamen heraus, standen an der Pforte, aber niemand sagte ein böses Wort. Sie schauten und weinten.
Dann kamen die Sowjets zurück … Wieder suchte jener Mann mich auf … Auf einem Pferd kam er geritten. »Man interessiert sich schon für dich.« »Wer?« »Wer schon – die Organe.« »Na und, es ist mir egal, wo ich den Tod finde. Sollen sie mich doch nach Sibirien schicken.« »Was bist du für eine Mutter? Du hast doch ein Kind.« »Du weißt, von wem …« »Ich nehme dich auch so.« Und ich habe ihn geheiratet. Den Mörder meines Mannes. Habe ihm ein Mädchen geboren … (Sie weint.) Er hat beide Kinder gleich geliebt, meinen Sohn und seine Tochter. Das kann ich nicht anders sagen. Aber ich … ich … ich war immer voller blauer Flecke, voller Blutergüsse. Nachts schlug er mich, morgens kniete er vor mir nieder und bat um Verzeihung. Eine Leidenschaft verzehrte ihn … Eifersucht auf einen Toten … Morgens, ganz früh, wenn alle Leute noch schliefen, stand ich immer auf. Möglichst früh, damit er nicht aufwachte … und mich umarmte … Nachts, wenn in keinem Fenster mehr Licht brannte, war ich noch in der Küche. Meine Töpfe waren immer blitzblank. Ich wartete, bis er eingeschlafen war. Fünfzehn Jahre haben wir zusammengelebt, dann wurde er schwer krank. Im Laufe eines Herbstes ist er gestorben. (Sie weint.) Ich bin nicht schuld … ich habe ihm nicht den Tod gewünscht. Als der Augenblick kam … der letzte … Er lag immer mit dem Gesicht zur Wand, doch da drehte er sich zu mir um. »Hast du mich geliebt?« Ich schwieg. Er lachte, wie damals in der Nacht, als er mir die Pistole zeigte … »Aber ich habe mein Leben lang nur dich allein geliebt. So sehr, dass ich dich töten wollte, als ich erfuhr, dass ich sterben werde. Ich habe Jaschka (das ist unser Nachbar, er
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