S.E.C.R.E.T. 1
wahlweise, um nicht umzukippen oder wegzulaufen.
»Oh, ach du meine Güte. Hi. Ja. Nein. Ich glaube, ich bin etwas früh dran. Ich dachte, ich setze mich irgendwo hin.«
»Nein, Sie sind gerade pünktlich. Kommen Sie, gehen wir hinein, und sie bekommen erst einmal etwas Kühles zu trinken. Es ist ganz schön heiß heute.«
Jetzt hatte ich keine Wahl mehr. Es gab kein Zurück. Mir blieb nichts anderes übrig, als dieser Frau durch das Tor zu folgen, in das sie einen komplizierten Sicherheitscode eingab. Als ich noch einmal die Third Street hinabschaute, beobachtete ich, wie Fünf Jahre sich mit eingezogenem Schwanz trollte, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
Ich folgte Matilda durch einen Innenhof, der mit üppigen Weinreben und ausladenden Büschen förmlich überwuchert war. Mein Verstand war immer noch verängstigt wie bei einem Kleinkind, das sich an die Beine seiner Mutter klammert. Wir gingen auf die rote Tür eines malerischen, weißen Kutschenhauses zu, das sich links von einer massiven Villa befand und von der Straße aus kaum zu sehen gewesen war.
Mir wurde schwindelig. »Stopp. Warten Sie. Ich weiß nicht, ob ich das tun kann, Matilda.«
»W as tun, Cassie?« Sie wandte sich um und sah mich fra gend an. Die Gladiolen umrahmten ihr Gesicht und brachten ihr rotes Haar noch besser zur Geltung.
»Das hier, was immer es ist.«
Sie lachte. »Warum finden Sie nicht selbst heraus, was das hier ist und entscheiden erst dann? Wie wäre das?«
Ich stand da, Handflächen feucht vom Schweiß. Ich widerstand dem Impuls, sie an meinem Kleid abzuwischen.
»Sie können Nein sagen, Cassie. Es ist nur ein Angebot. Also? Bereit?« Sie schien eher verwirrt als ungeduldig zu sein.
»Ja«, antwortete ich. Und ich war es. Genug gehadert! Ich schaltete meinen widerstrebenden Verstand aus. Nein, besser: Ich öffnete ihn.
Matilda ging voran. Ich folgte. Mein Blick wanderte zu der efeubewachsenen Villa und dem überwucherten Innenhof zurück. April in New Orleans bedeutet Weinreben und Blumen in Hülle und Fülle. Die Magnolien blühen so schnell, als ob sie über Nacht jene reich verzierten Badekappen übergestreift hätten, die man in den Fünfzigerjahren getragen hat. Noch nie hatte ich einen solch üppigen, grünen und lebendigen Garten gesehen.
»Wer wohnt da?«, fragte ich.
»Das ist die Villa. Nur Mitglieder dürfen hinein.«
Ich zählte ein Dutzend Dachfenster. Kunstvoll verzierte Eisengitter hingen vor den Fenstern wie Spitzenvorhänge. Den Erkerturm zierte eine weiße Krone. Alles war in Weiß gehalten. Dennoch fand ich den Ort umheimlich. Als ob es hier spukte. Obwohl – die Geister waren vermutlich recht attraktiv.
Am Kutschenhaus angelangt, tippte Matilda einen weiteren Sicherheitscode ein, und wir betraten das Innere durch die hohe, rote Tür.
Die kühle Luft der Klimaanlage traf mich unvermittelt. Äußerlich war das Kutschenhaus ein unscheinbarer Kasten. Im Inneren jedoch war es ein Musterbeispiel an Minimalismus, wie er Mitte des Jahrhunderts üblich gewesen war. Die Fenster waren klein, die Wände jedoch hoch und weiß. Daran hingen zahlreiche deckenhohe Gemälde in lebhaftem Rot und Pink, verziert mit Gelb- und Blautönen. Brennende Teelichter auf den Fensterbänken verliehen dem Haus die Atmosphäre eines teuren Spabereichs. Ich entspannte meine Schultern, die ich bis dahin fast bis zu den Ohren hochgezogen hatte. An einem Ort wie diesem konnte mir einfach nichts Schlechtes zustoßen. Er war so makellos und rein!
Am Ende des Ganges befanden sich ein paar Türen, die bestimmt drei Meter hoch waren. Eine junge Frau mit einem akkurat geschnittenen schwarzen Bob und einer schwarzen Brille mit dickem Rand erhob sich von ihrem Schreibtisch und begrüßte Matilda. »Das Komitee wird bald da sein«, sagte sie, während sie eilig um den Schreibtisch herumkam, um Matilda die Einkäufe und die Blumen abzunehmen.
»Danke, Danica. Danica, das ist Cassie.«
Komitee? Unterbrach ich etwa irgendeine Konferenz? Mir sank das Herz in die Hose.
»Wie schön, Sie endlich kennenzulernen«, sagte Danica. Matilda warf ihr einen strengen Blick zu.
Was meinte sie mit »endlich«?
Danica drückte auf einen Knopf unter ihrem Schreibtisch, und hinter ihr öffnete sich eine Tür. Dahinter erspähte ich einen hell erleuchteten Raum mit Walnussvertäfelung und einem runden, edlen Teppich in der Mitte.
»Mein Büro«, sagte Matilda. »Kommen Sie herein.«
Der Raum wirkte sehr gemütlich. Aus dem Fenster blickte
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