S.E.C.R.E.T.
den Gefahren, Pumps am Arbeitsplatz zu tragen, gewarnt worden. Aber Frauen sind eitel, und so etwas ist nun mal mein Schicksal. Denn natürlich war ich es, die eine Großzahl ihrer Abendschichten übernehmen musste, bis ihr geschwollenes Fußgelenk wieder seine normale, zierliche Form angenommen hatte.
Ich klagte Matilda mein Leid, die mich gebeten hatte, sie regelmäßig von meinem Dienstplan zu unterrichten. Ich hoffte, dass meine nächste Fantasie sich in der Villa erfüllen würde, und zwar bald. Aber es sah mehr und mehr so aus, als ob dieser Monat völlig fantasielos bleiben würde. »Kein Problem«, sagte Matilda. »Dann setzen wir für nächsten Monat einfach zwei Events an.« Aber die Erinnerungen an das Intermezzo in der Jazz-Bar verblassten langsam, und mich dürstete nach mehr.
Gott sei Dank ist Spring Fling , dachte ich jeden Abend beim Tischeabwischen. Bei Hochbetrieb hätte ich eine Woche mit Doppelschichten kaum überstanden. Die Tage blieben also totenstill, und am frühen Abend sank die Stimmung in diesem Teil der Stadt sogar noch mehr. Es gab so wenig Kunden, dass die Straßenbeleuchtung noch auffälliger von Wänden und Glas widergespiegelt wurde als sonst. Das Café wirkte wie ein einsames Gemälde. Will war bei Tracina, um ihr zur Hand zu gehen, sodass seine beruhigende Anwesenheit in der oberen Etage fehlte. Aber eigentlich hatte ich nichts dagegen. Ich hatte ein paar gute Bücher zum Lesen und war sogar so mutig, in meiner Freizeit ein paar Gedanken in mein Fantasie-Tagebuch zu kritzeln – was die einzige Hausaufgabe war, die S.E.C.R.E.T. mir aufgegeben hatte.
Genau das tat ich gerade an der Bar, als die Türglocken mich aufschreckten. Es war kein später Gast, wie ich vermutet hatte, sondern der Gebäck-Lieferant. Das war seltsam. Normalerweise lieferten die morgens, in aller Herrgottsfrühe. Dann war Dell da, um den Lieferschein zu unterzeichnen. Ich hatte den Koch schon vor Stunden nach Hause geschickt, denn die einzigen Gerichte, die ich nach acht Uhr abends servierte, waren Kaffee und Dessert. Und das auch nur an die letzten Gäste, die sich gerade noch die Reste ihres Essens einpacken ließen.
Ich beobachtete den jungen Mann in der grauen Kapuzenjacke, der eine Sackkarre mit Gebäckkisten vor sich herschob. Wortlos kam er direkt auf mich zu.
»Tut mir leid«, sagte ich, glitt von meinem Hocker herunter und verbarg das Tagebuch hinterm Rücken. »Aber sind Sie nicht etwas spät dran? Kommen Sie normalerweise nicht mor–«
Er ging an mir vorbei, zog die Kapuze herunter und warf mir über die Schulter hinweg ein Lächeln zu. Er hatte kurz geschnittenes Haar und ein kantiges Gesicht mit haselnussbrauen Augen. Seine Unterarme waren über und über mit Tattoos verziert. Vor meinem geistigen Auge erschienen der Reihe nach die Bilder aller bösen Jungen, derentwegen ich als Schülerin gelitten hatte.
»Ich bringe das hier nur in die Küche. Kommen Sie nach?«, fragte er und hielt sein Klemmbrett in die Höhe.
Ich hatte so das Gefühl, als ob ich jetzt mehr bekommen würde als nur zwei Dutzend Muffins und ein Blech Limettenkuchen.
Ein paar Sekunden später hörte ich einen Lärm, bei dem ich froh war, dass Will nicht oben war. Der Krach erklang nicht nur einmal, sondern in mehreren Etappen. Zuerst ein Getöse, dann ein paar Schläge, dann wieder ein metallisch klingender Albtraum.
»Oh mein Gott!«, rief ich und lief auf die Küchentür zu, hinter der ich ihn stöhnen hören konnte. »Geht es Ihnen gut?« Ich schob die Tür auf, tastete an der Wand nach dem Lichtschalter und knipste die Leuchtstoffröhren an.
Der Typ lag auf dem Boden und hielt sich die Rippen. Kuchen in verschiedensten Farben bildeten eine Spur auf dem Boden, die geradewegs auf den Kühlraum zuführte.
»Das hab ich wohl gründlich vermasselt«, grunzte er.
Hätte ich mich nicht von dem Schreck erholen müssen, hätte ich wahrscheinlich laut losgelacht.
»Sind Sie okay?«, fragte ich noch mal und näherte mich ihm so vorsichtig, als sei er ein Hund, der von einem Auto angefahren worden war und weglaufen würde, wenn ich mich zu schnell bewegte.
»Ich glaube schon, ja. Oje, tut mir leid wegen des Chaos, das ich angerichtet habe.«
»Sind Sie einer von den Typen von … Sie wissen schon?«
»Ja. Ich sollte Sie ›überraschen‹. Ta-da! Autsch«, sagte er, griff sich an den Ellbogen und lehnte sich wieder zurück, wobei eine Schachtel Pecannuss-Torte ihm zufällig als Kissen diente.
»Na ja, in gewisser Weise
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