See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
gab sie mit fester Stimme zurück. »Ich bin hier, um eine Anzeige zu erstatten.«
Marcks zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »So? Worum geht es denn? Hast du etwa vor, in guter alter Hennessey-Manier respektable Bürger mit Dreck zu bewerfen?«
Tess glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Auf so eine Frechheit war sie nicht vorbereitet gewesen.
Statt einer Antwort zog sie den Pflasterstein samt dem Zettel mit der Botschaft aus ihrer Umhängetasche und knallte ihn vor dem Sheriff auf den Tresen. Ruth warf ihr einen entsetzten Blick zu, aber sie ignorierte es. Ihr war es auch egal, dass das Holz des Tresens wahrscheinlich ein paar Kratzer abbekommen hatte. Sie war darauf gefasst gewesen, dass Ruth sie unfreundlich behandeln würde, aber die Reaktion des Sheriffs hatte sie wütend gemacht. Der Kerl sollte jetzt verdammt nochmal seinen Job machen! Sie war es leid, nicht ernst genommen zu werden.
»Dieser Stein«, erklärte sie nachdrücklich, »ist gestern Nacht durch mein Wohnzimmerfenster geflogen gekommen. Damit wir uns richtig verstehen, das Fenster war nicht offen. Ich habe jetzt eine zertrümmerte Scheibe und kann nicht mehr im Haus übernachten. Diese nette Botschaft war mit einem Gummiband an dem Stein befestigt. Sie faltete den Zettel auseinander und drehte ihn so, dass der Sheriff die Nachricht darauf lesen konnte.
»Hhm, das ist natürlich eine hässliche Angelegenheit«, meinte Marcks. Mit Genugtuung registrierte Tess die leichte Verlegenheit in seiner Stimme. Der Sheriff starrte auf den Zettel und kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Hast du erkennen können, wer den Stein geworfen hat?«
Tess schüttelte den Kopf. »Es war schon dunkel. Außerdem war ich so geschockt durch den lauten Knall und die herumfliegenden Glassplitter, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, zum Fenster zu stürzen und nachzusehen, wer das getan hat.«
Marcks hob den Pflasterstein auf und wog ihn prüfend in der Hand, während er überlegte. »Also, an dem Stein werden wir wohl keine Fingerabdrücke finden, die Oberfläche ist viel zu unregelmäßig. Und den Zettel können wir wohl auch vergessen, da wird auch nichts mehr drauf sein. Wenn der Täter einigermaßen intelligent ist, hat er wahrscheinlich ohnehin Handschuhe getragen.« Er blickte auf und sah Tess fragend an. »Hat noch jemand beobachtet, was passiert ist?«
»Ryan MacIntyre war gerade bei mir«, antwortete Tess wahrheitsgemäß. Wieder schossen die Augenbrauen des Sheriffs nach oben. Anscheinend war er der Einzige in Shadow Lake, der noch nichts von den Gerüchten gehört hatte, die über sie und Ryan inzwischen in Umlauf waren. Trotzdem fuhr Tess ungerührt fort: »Aber er hat genauso wenig gesehen wie ich. Ob es sonst noch jemanden gibt, der den Steinewerfer beobachtet hat, weiß ich nicht. Das herauszufinden scheint mir auch eher Ihre Aufgabe zu sein.«
»Jetzt hör mir mal zu, mein Mädchen«, meinte der Sheriff in gönnerhaftem Ton, »Wir werden uns natürlich in den nächsten Tagen ein bisschen umhören, aber versprich dir nicht zu viel davon. Deine Tante hat sich hier in den letzten Jahren eine Menge Feinde gemacht, da ist der Kreis der Verdächtigen groß. Ich denke übrigens, dass der Stein eher ihr galt als dir. Du solltest die Angelegenheit also nicht zu persönlich nehmen.«
Tess hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten, als sie antwortete. Sie war kurz vorm Explodieren.
»Erstens bin ich nicht ihr Mädchen«, gab sie mit vor Zorn verengten Augen zurück. »Und zweitens gelange ich langsam aber sicher zu der Überzeugung, dass meine Tante die Einzige hier im Ort war, die wirklich nach der Wahrheit gesucht hat. Und anscheinend war sie nicht mehr allzu weit davon entfernt.«
»Was willst du damit sagen?«, bellte Marcks empört. »Glaubst du etwa, wir haben bei dem Mord an dem Miller-Mädchen irgendetwas vertuscht?«
Tess schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht«, antwortete sie ehrlich. »Ich denke nur, dass Sie sich viel zu früh auf Jared als Täter festgelegt und gar nicht mehr in andere Richtungen ermittelt haben. Außerdem sind auch bei den Todesfällen von Claire Meyers und Susannah MacIntyre nicht alle Unstimmigkeiten geklärt worden. Und beim Verschwinden von Millie Walls haben Sie erst gar nichts unternommen.«
Während Tess ihre Anschuldigungen vorgebracht hatte, hatte sich das Gesicht des Sheriffs dunkelrot verfärbt.
»Was bildest du dir eigentlich ein?«, blaffte er Tess an. »Es ist zweifelsfrei geklärt, dass
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