Seegrund
Kluftinger einen Schritt zurück. Er schluckte. Kurzzeitig drehte sich alles um ihn, und er hatte schon Angst, dass seine Erkältung ihn in die Knie zwingen würde, doch dann wurde alles ganz klar. Auf einmal formte sich aus dem chaotischen Haufen aus Theorien, Aussagen und Vermutungen ein Bild. Die Lösung des Falles lag vor ihm wie ein Puzzle, dessen System er endlich durchschaut hatte und das er nur noch zusammensetzen musste. Es würde nur noch einen Augenblick dauern, doch er brauchte Ruhe dafür.
»Fangt bitte gleich mal an! Ich muss noch über was nachdenken«, flüsterte er Friedel Marx und Strobl zu. Dann ging er ein paar Schritte zurück und ließ sein Gehirn arbeiten, ohne die anderen dabei aus den Augen zu lassen. Versatzstücke dessen, was Marx und Strobl fragten, drangen an sein Ohr und fügten sich in seinem Unterbewusstsein in das dort entstehende Gesamtbild ein.
Pius Ackermann protestierte zunächst lautstark gegen die vorläufige Festnahme, während Klaus sich im Gegensatz zu den bisherigen Zusammentreffen auffällig still verhielt. Pius Acker mann gab an, dass Klaus sein Neffe sei, er selbst auf dem Weg nach Pfronten in seine Pension.
Friedel Marx fragte Ackermann nun, was es mit der ominösen Karte des Sees auf sich habe, und bei der Antwort horchte Kluftinger auf: »Gute Frau, ich bin Geologe. Ich hatte einen Lehrstuhl in Rostock. Können Sie sich denn nicht vorstellen, dass mich ein Gewässer, das so viele Geheimnisse birgt wie der Alatsee, interessiert? Noch dazu, wo mein Neffe, der in meine beruflichen Fußstapfen tritt, eben dort als Teil eines Forschungsteams agiert?«
»Und wenn ich Ihnen sage, dass es sich bei dem Papier um eine Schatzkarte handelt?«, hakte Strobl nach, was Ackermann mit einem kehligen Lachen und dem in Kluftingers Augen reichlich deplatzierten Kommentar quittierte, ob Strobl zu viel Karl May gelesen habe. Strobl blieb jedoch völlig ruhig. Hätte Kluftinger diese Phrase von Ackermann an den Kopf geworfen bekommen, er wäre unter Garantie laut geworden.
»Wir wissen sehr wohl, was Sie und die anderen am Ende des Krieges am See getrieben haben«, setzte Marx sofort nach.
Das seien alles nur Spekulationen und Gerüchte, die sich über die Jahre verselbstständigt hätten, schimpfte Ackermann. Am menmärchen, mehr nicht.
»Herrgott, was wollen Sie denn dann hier?«, schnauzte Marx ihn an und es war deutlich zu erkennen, dass ihnen allmählich die Fragen ausgingen. Egal, was sie von ihm wissen wollten, er wand sich wie ein Aal und schien für sie nicht zu fassen. Schließlich bestand er darauf, dass sie ihn gehen ließen. Und den verzweifelten Polizisten fiel tatsächlich kein triftiger Grund mehr ein, Ackermann und seinen Neffen, wenn Klaus das denn tatsächlich war, weiter festzuhalten.
Doch dann passierte etwas, das Kluftinger die Klarheit verschaffte, die er noch brauchte. Das letzte Puzzlestück fügte sich ins große Bild:
Die Marx zündete sich gerade einen Zigarillo an, woraufhin auch Klaus eine Schachtel Zigaretten hervorzog. Als er zum Feuerzeug griff fiel ihm dies jedoch aus der Hand, er musste sich bücken, um es aufzuheben. Der Kommissar kniff die Augen zusammen und nickte.
Auf die verzagt geflüsterte Frage seiner Kollegin, ob er denn keine Fragen mehr habe, man müsse die beiden sonst gehen lassen, reagierte Kluftinger gar nicht mehr. Stattdessen ging er zielstrebig und mit funkelnden Augen auf Ackermann zu, warf Klaus einen Blick zu, legte sich noch ein paar Worte zurecht, holte tief Luft und begann zu sprechen: »Wissen Sie, Herr Ackermann, woran ich am längsten zu kauen hatte? Was ich mir die ganze Zeit nicht erklären konnte? Dass es zwei Seiten, zwei Parteien gibt, die zum Seegrund wollen. Darauf bin ich, ehrlich gesagt, jetzt erst gestoßen, als ich Sie und Ihren …«, Kluftinger warf Klaus einen abschätzigen Blick zu, »… Ihren ›Neffen‹ zusammen gesehen habe. Dann ist bei mir endlich der Knoten geplatzt. Dass das so lange gedauert hat, lag wohl vor allem daran, dass alles auf den ersten Blick anders schien, als es sich dann in Wirklichkeit dargestellt hat.«
Marx und Strobl warfen sich fragende Blicke zu und zuckten mit den Schultern. Keiner wusste, worauf der Kommissar hinaus wollte. Atemlos lauschten sie und Marlene Lahm seinen Ausführungen.
»Zuerst war da mal der Tote, der gar keiner war. Mit Eltern, die gar keine waren. Der Kerl, ein Forscher, der gar keiner war, lag in einer Lache aus Blut, das, wie sich bald herausstellte,
Weitere Kostenlose Bücher