Seegrund
fort, seien sie die Einzigen, die über die Kisten Bescheid wüssten.
Und der Feldwebel, sagte Tassilo.
Johann antwortete nichts.
Ein Tresor, sagte plötzlich einer mit Jungengesicht am hinteren Ende des Lastwagens.
Sie drehten sich ihm zu.
Was er damit meine, fragten sie. Er blieb still, starrte selbstversunken auf den Boden.
Alfons, rief einer, worauf der zusammenzuckte und weiterredete.
Der See sei wie ein Tresor. Niemand komme da hinunter. Da gebe es unheimliche, unerklärliche Vorgänge. Man nenne ihn den blutenden See. Weil er ab und zu rote Flüssigkeit ausspeie.
Sie sahen sich ungläubig an.
Nein, nein, das stimme schon, beharrte Alfons, verwunschen sei der See. Ein todbringender Mönch mit einem riesigen Schlüsselbund gehe dort um.
Spukgeschichten, sagte Michael verächtlich, doch es klang eher, als wolle er sich damit selbst beruhigen.
Ob sie denn nicht verstünden, mischte sich nun wieder Johann ein. Niemand würde dort unten etwas heraufholen. Vor allem nicht, da nur sie wussten, wo man suchen musste.
Plötzlich wurden sie aufgeregt. Die Wangen ihrer bleichen Gesichter färbten sich rot. Sie verstanden auf einmal, worauf Johann hinaus wollte.
Und wenn nichts Wertvolles drin sei, fragte Michael.
Lachhaft, schüttelte Johann den Kopf. Dann hätte man heute nicht so ein Tamtam gemacht. Sie würden schon sehen, was drin sei, wenn sie die Kisten irgendwann bergen würden.
Dann begannen sie, sich auszumalen, was in den Kisten verborgen sein könnte. Von Gold und Juwelen war die Rede, von Schmuck und unermesslichen Schätzen.
Man müsse das Geheimnis bewahren, sich wieder hier treffen, gemeinsam den Schatz heben, lautete ihr Schluss.
Eure Hände, sagte Johann und streckte seine aus.
Zögernd legten die anderen ihre Hände auf seine, zuletzt Pius. Und dann schworen sie. Dass sie niemandem je davon erzählen würden, dass sie alles tun würden, um den Schatz für sich zu heben, dass sie sich wieder treffen würden, jedes Jahr auf den Tag genau vom heutigen Datum an gerechnet. Wieder hier, am See, bei der krummen Weide.
Als sie fertig waren, keuchten sie aufgeregt. Dann sagte Johann, dass es nur eine Strafe für die geben dürfe, die sich nicht an diesen Schwur hielten. Die anderen schluckten. Dann sah ihnen Johann einem nach dem anderen in die Augen. Zusammenhalt, flüsterte er. Nur so könne man es schaffen.
»Das gibt’s doch nicht!« Kluftinger stieß einen Fluch aus. »Ausgerechnet heute! Uns pressiert’s, und hier bricht das Schneechaos los.«
Der Kommissar saß nach vorn gebeugt mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Lenkrad seines Wagens. Er hatte darauf bestanden, selbst zu fahren; Marx’ zweifelhaften Fahrkünsten wollte er sich bei diesem Wetter nicht aussetzen. Er bewegte den Kopf hin und her, als könne er so seine Sicht auf die Straße wenigstens ein klein wenig verbessern. Doch es nutzte nicht viel, denn draußen tobte ein Schneesturm, wie er ihn lange nicht erlebt hatte: Wie kleine Geschosse rasten die Flocken im Lichtkegel der Scheinwerfer auf das Auto zu, ein paar Meter weiter verdichteten sie sich zu einer undurchdringlichen weißen Wand.
Immer wieder schaltete er zwischen Fern- und Abblendlicht hin und her, denn er konnte sich nicht entscheiden, welches die bessere Sicht bot: Mit Fernlicht konnte er zwar weiter sehen, aber wenn er es anschaltete, war es, als fange es jetzt erst richtig an zu schneien. Mit dem Abblendlicht war es zwar dunkler, aber dafür blieb das ganze Ausmaß des Unwetters verborgen und man war weniger abgelenkt. Kluftinger hielt das Lenkrad fest umklammert, denn ab und zu wurde der alte Passat von einer Windböe erfasst und er hatte dann Mühe, ihn auf Kurs zu halten.
»Wie lange wird es mit der Verstärkung dauern, hast du gesagt?«
Strobl, der neben dem Kommissar saß, zuckte mit den Schultern.
»Sie wissen es nicht genau, vielleicht zwanzig Minuten, vielleicht eine halbe Stunde. Das Landratsamt hat Katastrophenalarm ausgelöst wegen des Sturms. Die kommen teilweise nicht durch, da sind schon mehrere Bäume umgeknickt. Die haben alle verfügbaren Einheiten im Einsatz. Aber die beeilen sich schon.«
»Na hoffentlich«, sagte der Kommissar besorgt und blickte auf die Uhr gleich neben dem Tacho: Es war gleich eins. Er wäre gerne schneller gefahren, aber mehr als die knapp sechzig Stundenkilometer, die er drauf hatte, ließ das Wetter beim besten Willen nicht zu. Und selbst bei diesem Tempo kam er sich wie ein Raser vor, so wenig sah er von der
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