Seegrund
und verließ mit ihr das Büro. Sie schien sich darüber zu freuen, dass sie weibliche Verstärkung bekommen hatte. Kluftinger fand, dass sie gut Mutter und Tochter hätten sein können – beziehungsweise Vater und Tochter, je nachdem, wie man es betrachtete.
Als er nun allein in seinem Büro stand und ein bisschen zur Ruhe kam, meldete sich wieder das Kratzen in seinem Hals. Er hoffte inständig, dass sich damit keine allzu schlimme Erkältung ankündigen würde, auch wenn er wusste, dass seine Erkältungen eigentlich immer mit einem Kratzen im Hals begannen und zudem eigentlich immer recht schlimm ausfielen. Er wusste, dass sein Leben für mindestens eine Woche durch die üblichen Begleiterscheinungen der Erkältung unnötig beschwerlich werden würde.
Dabei kam sein Schnupfen im Winter so sicher wie das Sodbrennen nach den Kässpatzen. Er begriff das nicht: Die Menschen bauten sich Raumstationen, bohrten sich in das Innerste der Erde und erfanden sogar Telefone, die – bei der richtigen Bedienung – Fotos machten. Doch sie waren nicht intelligent genug, sich im Winter vor Erkältungen zu schützen. Ähnlich war es mit dem Sonnenbrand im Sommer: Natürlich wusste man, was passiert, wenn man sich ohne den entsprechenden Lichtschutzfaktor den Strahlen aussetzte. Auf den käsigen Körpern blässlicher Mitteleuropäer taten die ihr unheilvolles Werk. Trotzdem holten sich die Menschen jedes Jahr mit beharrlicher Regelmäßigkeit rote Nasen, brennende Rücken und sich abschälende Stirnglatzen. Und wenn er Menschen dachte, meinte er sich selbst. Die Erkältung und der Sonnenbrand gehörten bei ihm zum Jahreszyklus wie das Schuhekaufen im Schlussverkauf.
Er kramte in seiner Schreibtischschublade nach einem Halsbonbon und fand tatsächlich eines mit Salbeigeschmack, das am Boden festgeklebt war. Nachdem er einige Haare und ein paar Späne aus dem Bleistiftspitzer, die an dem Bonbon haften geblieben waren, entfernt hatte, schob er es sich angewidert in den Mund. Seinem Hals ging es auf der Stelle besser und es keimte Hoffnung in ihm auf, dass er noch einmal die Kurve kriegen würde.
Dann ließ er sich auf seinem Stuhl nieder und überlegte, was er nun tun sollte. Er hätte seinen Kollegen bei der Vernehmung des ungarischen Wirts helfen können, verspürte aber nur geringe Lust dazu. Er würde das Ergebnis auch so erfahren und wie es aussah, stand die ganze Sache kurz vor ihrem Abschluss. Obwohl er sich noch überhaupt keinen Reim darauf machen konnte, worum es dabei überhaupt ging.
Ob er die Sache mit dem Evaluationsteam angehen sollte? Das Archiv auf Vordermann bringen? Alte Akten endlich abschließen? Was war denn – nüchtern betrachtet – schon wirklich passiert? Gut, man hatte einen verletzten Mann gefunden, dessen Identität noch ungeklärt war. Kluftinger gestand sich insgeheim ein, dass er unbewusst mit allen Mitteln versuchte, die leidige Archivarbeit vor sich her zu schieben.
Er entschloss sich, ganz im Sinne eben dieser Taktik, bei Willi Renn vorbeizuschauen, auch wenn es dafür eigentlich keine wirkliche Veranlassung gab. Er hatte einfach das Bedürfnis, nach der angespannten Stimmung des bisherigen Tages eine nette Unterhaltung zu führen.
Als er die Türe zu Renns Büro öffnete, verfluchte er sich für diese Entscheidung: Sein Chef Dietmar Lodenbacher saß dort auf einem Stuhl an der Wand, ihm gegenüber hatte sich Renn hinter einer Kamera platziert. Offenbar ließ Lodenbacher gerade Porträt-Aufnahmen machen, was nicht ungewöhnlich war: Viele Kollegen kamen zu Renn, wenn sie neue Passfotos für den Dienstausweis oder die Personalakten brauchten. Der Leiter des Erkennungsdienstes verfügte in seinem Raum über eine professionelle Fotoausrüstung. Zwar war sie eigentlich dazu da, Straffällige für die Polizeiakten im Bild festzuhalten, doch Renns Fotokünste konnten mit jedem Studio mithalten, was ihm regen Zulauf bescherte.
Kluftinger machte auf dem Absatz kehrt, um wieder hinauszugehen, denn auf die Fragen seines Chefs hatte er nun wirklich am allerwenigsten Lust. Doch Renn hatte ihn bereits gesehen und winkte ihn zu sich: »Klufti, gut, dass du da bist. Ich wollt eh noch was mit dir besprechen. Mach nur das hier noch schnell fertig.«
Kluftinger verzog das Gesicht und setzte sich widerwillig an Renns Schreibtisch. Im Vorbeigehen nickte er Lodenbacher zu, den das Auftauchen des Kommissars ebenso wenig zu erfreuen schien. Kluftinger bekam auch sofort den Grund dafür geliefert.
»So, jetzt
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