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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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vierzig Jahren einmal eine Schnecke in den Kakao geworfen hatte. Der salzig-vergorene Geschmack der Sojasauce vermischte sich mit einer so aggressiven Honigsüße, dass ihm seine Zahnhälse wehtaten. Er war schockiert, statt herzhaftem Hühnerfleisch nun etwas Süßes im Mund zu haben. Doch das Schlimmste war die Konsistenz: Die Füllung war weich und nach dem ersten Biss ergoss sie sich aus ihrer Kruste in seinen Rachen. Der Anblick seines Tellers gab ihm den Rest: Aus dem Backteig quoll grau-grünlicher Schleim.
    Er versicherte sich mit einem verstohlenen Blick, dass die anderen ihn nicht beachteten, und griff sich seine Serviette. Nach einem erneuten Kontrollblick hielt er sich diese vors Gesicht, holte tief Luft und tat dann, als schnäuze er herzhaft. Dabei spuckte er unbemerkt den schleimigen Bissen hinein, knüllte das Papier zusammen und legte es neben sich auf den Stuhl. Erleichtert blickte er zu den anderen, die sich erst jetzt wieder ihm zuwandten:
    »Gut die Banane, oder?«, grinste Markus.
    Kluftinger seufzte gelöst: Gott sei Dank, nur Banane, dachte er. Das ging ja noch.
    Er nahm einen großen Schluck seines Reisbiers und wollte gerade etwas Lobendes über die japanische Küche von sich geben, als am Nachbartisch lautes Gezeter ertönte.
    »Nathanael, hörst du auf, du Ferkel!«, schimpfte die Mutter mit ihrem Kind. »Da ist ja widerlich!« Der Mann stimmte ihr energisch zu: »Also wirklich, Nathanael. Du kannst doch nicht einfach dein Essen in die Serviette spucken! Sag halt, wenn es dir nicht schmeckt.«
    »Der Onkel da drüben hat’s auch gemacht!«
    Kluftinger lief knallrot an: »Also so ein Rotzbub! Habt ihr das gehört? Keine Erziehung haben diese Fratzen heute mehr!« Dann versuchte er, ihre Aufmerksamkeit wieder aufs Essen zu lenken. »Das Hellgrüne sieht auch ganz gut aus. Yumiko, gibst du mir das rüber?«
    Er zeigte auf ein kleines Schälchen mit einer hellgrünen Paste, die für ihn wie Pistazienmarzipan oder eine andere süße Leckerei aussah. Schlimmer als die Banane konnte es auf keinen Fall sein.
    »Das ist Wasabi«, erklärte Markus, dessen dozierender Tonfall Kluftinger missfiel.
    »Hört sich gut an«, sagte er lächelnd und jonglierte einen walnussgroßen Bissen auf seinen Stäbchen in den Mund.
    »Vatter, das ist viel zu scharf!«
    »Ich bin doch kein Weich …«, brachte Kluftinger noch heraus, dann machte sich in seinem Rachen ein Feuer breit, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Als er zum ersten Mal Luft zu holen versuchte, wurde der beißende Geschmack in Mund und Nase so schlimm, dass er reflexartig aufsprang. Es ging nicht anders. Er musste auf die Toilette und sich den Mund auswaschen.
    »Aber echt, Vatter, dass du heute freiwillig beim Sushi-Essen warst – Respekt!« Markus nickte anerkennend, als sie auf dem Weg zum Auto waren. »Und dass Wasabi japanischer Meerrettich ist, konntest du ja nicht wissen. Und am Schluss hast du ja noch richtig zugelangt, als wir schon alle satt waren.«
    »Du, Räucherlachs ess ich ja ab und zu ganz gern. Der fischelt wenigstens nicht so. Und der Meerrettich hat meinen Schnupfen für einen Moment regelrecht verjagt«, erklärte der Kommissar.
    »Na ja, aber ich hätte gedacht, dass es dir ein bissle graust vor dem rohen Fisch.«
    »Jetzt verkauf deinen alten Vater mal nicht für dumm! Rohen Fisch zu servieren, da hätte in Deutschland die Lebensmittelaufsicht was dagegen.«
    Als er in die Gesichter der anderen schaute, wurde ihm schlagartig klar, dass sein Sohn die Wahrheit gesagt hatte. Ebenso schlagartig verlor sein Gesicht an Farbe und sein Magen begann zu rumoren …
    Kluftinger fühlte sich elend, als er an diesem kalten Morgen mit dem Aufzug in sein Büro im zweiten Stock der Polizeidirektion fuhr. Seine aufkommende Erkältung, von der er gehofft hatte, er könnte sie noch einmal im Keim ersticken, hatte sich fast zu einem vollständigen Schnupfen ausgewachsen. Sein Kopf tat ihm weh und er nahm seine Umwelt durch einen kaum merklichen, aber doch allgegenwärtigen Schleier wahr. Außerdem hatte er nichts gefrühstückt, weil es seit dem unfreiwilligen Fischessen am gestrigen Abend in seinem Magen gärte. Als sein Sohn ihm gesagt hatte, dass es roher Fisch war, den er da aus purer Gastfreundschaft verspeist hatte, war es losgegangen. Der Fisch war bestimmt aus einem atomar und bakteriell verseuchten japanischen Industriehafen und monatelang in unzureichend gekühlten tschechischen Lastwagen quer durch Europa gekarrt worden, so

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