Seegrund
bleib ich halt daheim«, spielte der Kommissar den Beleidigten.
»Ach Vatter, dann hätten wir ja niemanden mehr zum Ärgern«, rief Markus und warf einen Schneeball in Kluftingers Kragen. Sofort entspann sich zwischen Vater und Sohn eine wilde und lautstarke Schlacht, die die beiden Frauen kopfschüttelnd, aber wohlwollend beobachteten. Erika lächelte, als sie sagte: »Eigentlich sind doch alle Männer nur zu groß gewachsene kleine Buben – egal wie alt sie sind. Sogar mein Brummbär!«
Als sich das Scharmützel der beiden wieder gelegt hatte, waren alle vier bereits weit vom Eingang des »Stiefel« entfernt.
Nachdem sie einen kleinen Torbogen passiert hatten, blieb der Kommissar so abrupt stehen, dass Yumiko und Markus ihn aus Versehen von hinten anrempelten.
»Und?« Erika war mittlerweile genervt. »Sind wir bald da?«
»Wir sind schon da!«
»Wo?«
»Na da-ha!«, grinste Kluftinger vergnügt.
Es dauerte einige Augenblicke, bis alle verstanden hatten.
»Heu … ja … jetzt aber«, war das Einzige, was Erika herausbrachte. Sie war völlig perplex. Ihr Mann wollte japanisch essen gehen? Er, der bei einer Forelle Müllerin stets nach Würmern im Fleisch suchte und der jeden Karpfen blau einer fachmännischen Obduktion unterzog, wollte Sushi zu sich nehmen?
Kluftinger genoss ihr ungläubiges Staunen. Stolz stand er am Eingang des Lokals, als wäre es sein eigenes. Er hatte mal wieder alle überrascht.
Trunken vor Selbstzufriedenheit ging er als Erster hinein. So bekam er auch nicht mit, wie Yumiko ihrem Freund zuflüsterte: »Er meint es doch irgendwie lieb, dein Papa. Dann gibt’s halt mal wieder Japanisch.«
»Konban ha.«
Der Asiate im Lokal blickte verständnislos drein. »You speak English?«, fragte er schließlich.
»Sag’s noch mal, Miki!«, flüsterte Markus.
»Ich weiß nicht … Also gut! Konban ha.«
»No speak dis! Speak English?«
»Yes, we do. I’m sorry, you’re not from Japan, are you?«, gab Yumiko in geschliffenem Oxfordenglisch zurück.
»Hanoi!«
So viel Kluftinger mitbekommen hatte, kam der Ober nicht aus Japan, sondern aus Vietnam. Das hätte er nicht vermutet. In den Augen des Kommissars wäre er als lupenreiner Japaner durchgegangen. Anderseits: Wie hatte er sich eigentlich einen lupenreinen Japaner vorgestellt? Ganz zu schweigen von einem Vietnamesen? Viele Fallstricke, die es zu umgehen galt. Kluftinger wusste schon, warum er sich so ungern aufs internationale Parkett begab.
Er fand es schade, dass kein echter Japaner vor ihnen stand. Er hätte zu gern das Gesicht des Kellners gesehen, wenn der in seiner Muttersprache begrüßt worden wäre.
Doch er dachte nicht weiter über die mangelnde »Fälschungssicherheit« von Asiaten nach, denn sein Blick fiel nun in die Gaststube. Seine Augen weiteten sich: Er wusste ja, dass aus Asien viele Innovationen kamen, die mit Automatisierung und Rationalisierung zu tun hatten. Aber das schlug dem Fass doch den Boden aus: Mitten durch das Lokal, vorbei an den Tischen und den Gästen, die dort saßen, fuhr ein Fließband! Kluftinger schüttelte den Kopf.
Es machte die ganze Atmosphäre des Lokals kaputt, das ansonsten – zumindest für einen Asiaten – recht passabel eingerichtet war: keine putzigen Landschaftsspringbrunnen, keine goldglänzenden Drachenköpfe an der Wand. Eher ein zurückhaltender, eleganter Raum – bis auf das Fließband. Und das alles nur, weil man so vielleicht eine halbe Kellnerstelle einsparen konnte.
Bevor er seinem Unmut darüber Ausdruck verleihen konnte, stand bereits der breit grinsende Ober vor ihm: »So, Sie habe resaviaht?«
»Woll, für Kluftinger, vier Leut.« Als er daraufhin in ein zwar immer noch lächelndes, aber etwas hilfloses Gesicht blickte, wiederholte er, diesmal ohne Dialekteinfärbung: »Vier Personen. Kluftinger.«
»Momä, bidtä«, tönte der Vietnamese mit heller Stimme und weiterhin stoisch lächelnd, bevor er zu einem kleinen Tischchen wuselte und aufgeregt in einem Kalender blätterte.
»Welchä Name, bidtä?«
»Kluftinger.«
Wieder senkte der Ober seinen Blick und blätterte hektisch die Seiten seines kleinen Büchleins um. Zwischendurch blickte er auf und schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln. Kluftinger bekam langsam das Gefühl, dass er seine Reservierung verschwitzt hatte.
»Ein Tisch mit Bank war das für uns«, wollte er ihm auf die Sprünge helfen und erntete dafür verwunderte Blicke seiner Familie.
Der Vietnamese grinste wieder und sagte: »Ah kleine
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