Seegrund
schaut’s doch mal: Wir finden einen Menschen in einem Taucheranzug an einem See, in dem Tauchen verboten ist, und das auch noch am Sonntag. Er ist halbtot und um ihn rum ist eine rote Flüssigkeit, die aussieht wie Blut, aber keines ist. Dazu hat er noch ein geheimnisvolles Zeichen in den Schnee gemalt, von dem wir noch nicht einmal ansatzweise wissen, was es zu bedeuten hat. Außerdem hat er schließlich eins über den Kopf bekommen, das haben die Ärzte doch bestätigt. Ein Unfall in dieser Konstellation wäre doch sehr unwahrscheinlich.« Er blickte in skeptische Gesichter.
»Ich stimme Ihnen zu.«
Kluftinger wandte seinen Blick zu Friedel Marx, die vor dem Schreibtisch saß. »Wie bitte?«, fragte er, denn er hatte nicht erwartet, ausgerechnet von ihrer Seite Schützenhilfe zu bekommen.
»Na ja, ich bin ja auch schon eine Weile dabei, aber so was habe ich noch nie erlebt. Ich finde, es ist irgendwie …«, es schien, als scheue sie davor zurück, den Satz zu beenden, »… unheimlich!«
Auch Kluftinger empfand es so, doch er hatte nichts gesagt, denn das war nicht gerade eine professionelle Vokabel und derartige Einordnungen wurden von ihnen in der Regel vermieden. Langsam nickten die anderen Beamten im Raum und auch Kluftinger pflichtete ihnen bei.
»Ich habe auch kein gutes Gefühl bei der Sache«, bekannte Strobl.
Und Hefele gestand: »Ja, wenn ich ehrlich bin, hat es in mir auch komische Emotionen ausgelöst. Wie geht’s dir, Richard?«
Jetzt ging Kluftinger das Gespräch doch etwas zu weit. Nur, weil eine Frau anwesend war, durften die Gesprächsrunden nicht zu Selbsthilfegruppen degenerieren, in denen jeder seinen Empfindungen freien Lauf ließ. Er sah sich deshalb veranlasst, das Gespräch wieder zu versachlichen.
»Hat eigentlich heute schon mal jemand im Krankenhaus angerufen? Gibt’s da irgendwas Neues?«
»Nichts Neues.« Marx schüttelte den Kopf.
»Hm, na ja, dann also weiter im Text. Wir haben den unbekannten, halbtoten Taucher. Die Frage ist doch jetzt: Weshalb ist er dort getaucht? Was hat er gesucht?«
Maier meldete sich zu Wort: »Er hat doch wahrscheinlich zum Forscherteam gehört, oder?«
»Ach so, ja, natürlich: das Forscherteam.« Kluftinger dachte nach. »Aber am Sonntag? Es war doch keiner da.«
»Und wenn er irgendwas beim Forschungstauchen, oder wie das heißt, gefunden hat und allein zurückgekommen ist, um danach zu suchen? Und dann wurde er dabei überrascht und …«
Es wurde still im Büro. Alle hingen diesem Gedanken Maiers eine Weile nach.
»Keine schlechte Idee«, befand Kluftinger schließlich. »Aber da kommen wir jetzt erst mal nicht weiter. Wenn wir mit den Wissenschaftlern gesprochen haben, sind wir sicher schlauer. Gibt es sonst noch was, was wir klären können? Das mit dem Zeichen vielleicht?«
Maier begann unruhig auf seinem Sessel hin und her zu rutschen.
»Richard? Weißt du irgendwas?«
»Ich … ach nein, nix.«
»Jetzt komm schon, alles kann hilfreich sein.«
»Nein, wirklich …«
»Richard!« Kluftinger sah seinen Kollegen scharf an, was seine Wirkung nicht verfehlte.
»Also, ich … ich hab schon mal so ein bisschen nachgeschaut, im Internet. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das alles richtig verstanden habe.« Er machte eine Pause.
»Jetzt lass dich halt nicht betteln!«
»Na gut, aber, wie gesagt, ich habe nur mal ganz unverbindlich …«
»Richard!«
»Eichhörnchen!«, kam es nun wie aus der Pistole geschossen.
»Was?«
»Eichhörnchen. Na ja, zumindest nach meiner ersten Recherche.«
Wieder blieben die Kollegen einen Moment still.
Dann brachen Hefele und Strobl in ein derart herzhaftes Lachen aus, dass ihnen die Tränen ins Gesicht schossen. Nur mühsam konnte Hefele noch einen Satz formulieren. »Also, der Mann … liegt halb im Sterben, und das Letzte, was er in den Schnee kritzelt, ist … ist … Eichhörnchen?«
Die beiden kriegten sich gar nicht mehr ein. Maier blickte betreten auf den Boden.
»Warum nicht Gänseblümchen?«, schlug Strobl vor, was beide mit einem noch lauteren Lachen quittierten.
»Oder … oder Kanarienvogel«, stammelte Hefele und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Kluftinger hätte gerne mitgelacht, aber er hatte dafür zu sorgen, dass eine professionelle Arbeitsatmosphäre herrschte. Deswegen rief er seine Männer zur Räson. Frau Marx hatte sich völlig still verhalten.
»Jetzt reicht’s, Leute. Der Richard hat sich wenigstens darum gekümmert. Daran solltet ihr euch mal
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