Seegrund
Kluftinger. Jetzt, da er sich das Band genauer besah, bemerkte er, dass es sich um kleine, eigentlich recht appetitlich aussehende Häppchen handelte. Sicher die Vorspeise zu ihrem Menü. Er überlegte lange, welches der kleinen Tellerchen er nehmen sollte. Mehrmals zog er seine ausgestreckte Hand wieder zurück, weil er sich nicht entscheiden konnte.
»Das da, Markus, gibst du mir das raus?«
Markus hatte gerade danach gegriffen, da überlegte er es sich anders: »Ach nein, stell’s wieder rein, ich nehm das mit der Gurke … oder doch lieber … hm, was nehm ich denn …«
»Vatter, du kannst so viele Teller nehmen, wie du willst!«
Kluftinger schaute seinen Sohn verlegen an: »Ach so, ich mein … ja, so ist das, ich weiß schon. Dann gib mir einfach mal die nächsten drei, die vorbeikommen.«
Das erste der besagten Plastiktellerchen trug eine Reiskugel – für Kluftinger, der auch beim Eiscafé das Wort »Kugel« noch nie verwendet hatte, ein »Bollen« mit Lachs obenauf.
»Du, Yumiko, was ist jetzt das genau?«, wollte Kluftinger wissen.
»Das ist Nigin-Maki.«
Der Kommissar blickte sie entgeistert an. Dann räusperte er sich und antwortete: »Ah so. Lecker.«
Er ließ die beiden Stäbchen, die neben seinem Teller lagen, aus der Papierhülle gleiten. Er hatte noch nie mit Stäbchen gegessen, wollte aber keine Gabel bestellen, sondern sich lieber als Mann von Welt präsentieren. Wenn das eine Milliarde Chinesen kann, werde ich das auch noch hinbringen, dachte er. Doch als die Papierhülle abgestreift war, begann er zu schwitzen: Statt der erwarteten zwei kam nur ein hölzernes Stäbchen heraus. Das hatte allerdings zwei Enden. Er hatte immer gedacht, dass die Chinesen mit zwei Stäbchen aßen. Andererseits: Die Japaner waren ja keine Chinesen. Er sah sich das Hölzchen noch einmal genau an und fand, dass es ein bisschen aussah wie eine Gabel. Also spießte er es in das erste Reisröllchen und führte es zum Mund.
»Soll ich es Ihnen zeigen?«, fragte daraufhin Yumiko und ihm wurde klar, dass er mit seiner Vermutung daneben gelegen hatte. Er wurde rot, als er erfuhr, dass man die Stäbchen auseinander brechen musste.
Bereitwillig ließ sich Kluftinger nun in die Geheimnisse der asiatischen Esskultur einweisen.
Zur Verwunderung aller erwies sich Kluftinger als sehr talentierter Schüler und schon nach wenigen Minuten beherrschte er das Essen mit dem fremden Werkzeug.
Und es schmeckte ihm sogar leidlich. Dafür, dass es Fisch war jedenfalls, den er sonst wegen der glitschigen Haut mied. Lediglich die Tatsache, dass der Reis eiskalt war, dämpfte seine Begeisterung etwas. War ja auch kein Wunder, dachte sich der Kommissar, das Zeug fuhr schließlich schon den ganzen Abend lang im Kreis.
»Und, schmeckt’s Ihnen, Herr Kluftinger?«, fragte Yumiko, als er gerade eine Sushi-Rolle in ihre Einzelteile zerlegte: Er praktizierte eine Art »Trennkost«, wobei er den Fisch aus Höflichkeit – und weil das ja schließlich das Teure am Ganzen war – ebenfalls aß, die grüne Hülle, von der er glaubte, es sei Spinat, aber liegen ließ. Hätte er gewusst, dass es sich um getrocknete Algen handelte, hätte er wohl auch den Reis, der damit in Berührung gekommen war, stehen lassen.
»Ja, schmeckt gut, könnte aber ein bissle wärmer sein. Wird vielleicht Zeit, dass wir uns den Hauptgang holen, von der Vorspeise haben wir ja jetzt genug gegessen. Oder bringen die uns den?«
Markus verdrehte die Augen. »Die warmen Sachen fahren doch oben! Das ist die Hauptspeise.«
Priml. Die Kinder hielten ihn mittlerweile bestimmt für den letzten Provinztrottel. Wäre er nur nicht auf diese blöde Idee gekommen. Alles nur, weil seine Winterreifen so abgefahren waren, dass er ins Schleudern geraten war und dieses vermaledeite Plakat entdeckt hatte. Beim Mondwirt oder im Stiefel hätte er sich sicher gefühlt, gewissermaßen ein Heimspiel gehabt. Und wie die Kässpatzen im Mond schmeckten … Mit all den geschmälzten Zwiebeln!
Resigniert griff sich Kluftinger ein Tellerchen, auf dem sich ein ausgebackenes Stück befand. Immerhin: So ähnlich sah das Essen beim Chinesen auch immer aus, und das war warm und eigentlich ganz schmackhaft. Also goss er noch etwas Sojasauce darüber, um den deftigen Geschmack zu unterstreichen, fasste mit beiden Stäbchen das längliche Stückchen und biss hinein. Und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan: Es war das grässlichste Geschmackserlebnis, seit ihm sein Jugendfreund vor gut
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