Seegrund
nahm seine Russenmütze ab und kratzte sich am Kopf. Der Kommissar nahm überrascht zur Kenntnis, dass er überhaupt keine Haare hatte. Die voluminöse Fellkappe hatte ihn irgendwie einen dichten Haarwuchs darunter vermuten lassen.
»Sonst irgendjemand eine Vermutung, was das sein könnte?« Die Umstehenden zuckten mit den Schultern. »Vielleicht eine Kaffeekanne oder ein Fußballtor?«, schlug Kluftinger zynisch vor. »Nein? Gut, wir werden es ja sicher herausfinden. Bitte geben Sie uns doch eine Kopie dieser … Scheibe da.« Dann wandte er sich um und sagte laut: »Sie halten sich bitte alle zur Verfügung. Wir werden sicher noch weitere Fragen haben und auch noch weitere Male herkommen. Einstweilen bleibt meine Kollegin bei Ihnen und wird sich noch ein bisschen umhören. Bis dahin.«
Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um: »Wo wohnen Sie eigentlich?«
»Im Gasthof da drüben«, beeilte sich der Professor zu sagen.
»Na, ich hoffe, Sie haben einen unempfindlichen Magen«, murmelte der Kommissar und ging.
»Endlich, Richard! Endlich bewegt sich was. Jetzt wissen wir immerhin, um wen es sich dreht. Und auch mit den Bildern aus dem See kommen wir sicher weiter.« Kluftinger war voller Tatendrang, er freute sich regelrecht darauf, die DVDs im warmen Büro anzuschauen, vielleicht sogar auf Maiers Videoleinwand.
»Dieser Projektor, kann man da drauf auch diese Filme abspielen?«, erkundigte er sich bei der Rückfahrt.
»Auf dem Beamer, meinst du?«
»Ja, auf diesem Projektor halt …«
»Weißt du, das ist ja im Endeffekt nur ein Ausgabegerät wie ein Monitor oder ein moderner Flatscreen.«
Kluftinger sah Maier vorwurfsvoll an. Da sein Kollege wusste, wie sehr er diese »englischen Angeberwörter«, wie er sie immer nannte, hasste, präzisierte Maier: »Also, man kann ihn an jeden Lap … also an jeden tragbaren Computer anschließen. Nimm ihn dir halt auch mal mit nach Hause! Ich hab ihn am Wochenende schon ein paar Mal gehabt, um mir Filme anzusehen.«
Kluftinger verkniff sich um des lieben Friedens willen eine Bemerkung über den Umgang mit Staatseigentum. Den Rest der Fahrt hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, die sie meist in die Tiefen des Sees führten, den sie gerade aufgesucht hatten. Als sie in Kempten die Residenz passierten, kam Kluftinger eine Idee. »Ich muss noch schnell was einkaufen in der Mittagspause. Beim Horten. Soll ich dich in der Stadt rauslassen oder willst du ins Büro?«
»Du, da geh ich grad mit.«
Das kam Kluftinger aber nun gar nicht gelegen: Schließlich wollte er nicht irgendwas kaufen. Nicht Kartoffeln oder ein paar Bleistifte. Es ging hier um etwas Sensibles, etwas geradezu Intimes, etwas, wobei der Kommissar lieber auf die Begleitung seines Kollegen verzichtete: Es ging um Erikas Weihnachtsgeschenk!
»Du, Richard, vielleicht lassen wir das. Ist sicher auch grad viel los, so mittags in der Stadt.«
»Ach jetzt komm, jetzt gehen wir halt, tät mir gerade gut passen. Ich brauchte nämlich noch ein Weihnachtsgeschenk.«
Das ließ die Sache natürlich in einem anderen Licht erscheinen. Wenn sein Kollege ebenfalls auf Geschenksuche war, dann würde er ihn kaum bei seiner stören können. »Gut, dann machen wir’s so«, willigte der Kommissar deshalb ein.
»Also, Richard, bis glei dann. Ich schau derweil mal ein bissle nach einem Geschenk für Erika rum …«, sagte Kluftinger.
»Da schließ ich mich an! Ich such nämlich auch was für meine Holde.«
Kluftinger biss sich auf die Lippe. Sein Kollege hatte seinen Wink nicht verstanden. Und Maier wollte er bei diesem denkwürdigen Ereignis als Letzten dabei haben. Kluftinger beschleunigte einfach seinen Schritt, da er hoffte, sich so seines Begleiters entledigen zu können. Und tatsächlich blieb Maier kurz darauf in der Elektronikabteilung hängen, wo er sich die neuesten Handys ansah. Gott sei Dank! Nun musste Kluftinger nur noch um zwei Ecken und dann unauffällig in den Damenwäschebereich einbiegen.
Für den Kommissar war der alljährliche Geschenkeinkauf ein Graus.
Dabei musste er ja nur für Erika etwas kaufen. Alle anderen Besorgungen machte seine Frau, einschließlich der Geschenke für seine Eltern. Auch für Markus hatte er noch nie etwas selbst gekauft, wenn man einmal von dem Elektronikbaukasten absah, den er mit viel gutem Willen seinem damals sechsjährigen Filius ausgesucht hatte, da seine Frau kurz vor Weihnachten krank geworden war. Das hatte allerdings bei der Bescherung zu einigen
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