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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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gesenkter Stimme weiter: »Das mit der Trichterform des Sees, darüber schreiben sie alle. Da könnte etwas dran sein, auch wenn sich wissenschaftlich nichts beweisen lässt. Heutzutage beschäftigt diese Frage einige führende Geomanten.«
    Der Kommissar runzelte die Stirn. Geo-was? Er kannte Geologen, wusste, was Geographie war, hatte in der Schule manchmal seine Probleme mit der Geometrie gehabt, konnte sich mit Mühe zusammenreimen, was Geophysiker tagsüber so machten – was um alles in der Welt aber waren Geomanten?
    »Entschuldigen Sie, wenn ich nachfrage, aber …«
    »Ich verstehe«, fiel Frau Urban ihm sofort ins Wort. »Ich kann mir denken, dass Sie mit diesem Begriff nichts anfangen können. Nun, Geomanten oder auch Geomantiker waren ursprünglich chinesische Wahrsager, die ihr Wissen aus Wellenlinien und Figuren im Sand beziehen, die sie deuten. Geomantik bedeutet also eigentlich ›Weissagung aus der Erde‹ – von griechisch ›gaia‹, was so viel heißt wie Erde, und ›manteia‹, Weissagung.
    Die aktuelle Geomantie hingegen hat ein anderes Selbstverständnis: Bei Planungen von Straßen, Gebäuden oder Stauseen werden mittlerweile teilweise von offizieller Seite Geomantiker gehört. Sie versuchen dann, an der Erdoberfläche bestimmte Energiezonen, Strömungs- und Schwingungsflüsse aufzuspüren, und im Idealfall stimmt man darauf dann die Landschafts- oder Architekturplanung ab. Für die geomantische Lehre ist der gesamte Lebensraum, Geologie, Flora und Fauna ein vernetztes, belebtes System aus Energien, Informationen und Beziehungen untereinander.«
    »Ah so«, lautete Kluftingers lapidare Reaktion auf den druckreifen Monolog.
    »Zurück zum angesprochenen Mythos vom Alatsee als Trichter: Der wird immer wieder erwähnt – mal als Zugang zur Unterwelt wie bei den Kelten, mal nimmt man an, dass dort unten ein Ungeheuer sitzt. Immer aber geht es um die Höhlen. Die verbreitetste Sage ist die der drei Schwestern, denen einst das Land um den See gehörte. Am Aggenstein sollen sie eine Burg bewohnt haben. Zunächst lebten sie friedlich zusammen, dann aber begannen sie zu streiten, und jede der drei wollte ihren Besitzanspruch geltend machen. Zwei der beiden stritten sich um den Bereich südlich des Aggensteins, die dritte verwünschte sie dafür. Die Erde solle sie verschlingen. Es donnerte furchtbar, es schien, als neigten sich die Berge über dem Tal, ein fürchterlicher Lärm erhob sich und aus der Tiefe begann es zu sprudeln. Am Abend war das Tal mit Wasser gefüllt – mit dem Alatsee, an dessen Ufern man noch heute das Wehklagen der beiden hören soll. Sie buhlen um die Liebe junger Ritter, die die drei zur Frau nehmen sollen, nur dann können sie erlöst werden. Und wieder ist die Krux: Die Dichte an Rittern nimmt immer mehr ab und die drei Schwestern sollen zudem abgrundtief hässlich sein.
    Aber es gibt noch andere Versionen wie etwa die der Venedigermännlein. Sie sollen die unterirdischen Gänge unter dem See hüten. Man sieht sie als wissendes Naturvolk, die früher Drachen besänftigen konnten. ›Drachenflüsterer‹, würde man heute wahrscheinlich sagen. Gewöhnlichen Sterblichen verwehren sie den Zugang, aber Sonntagsgeborene und Menschen, die den Namen des Drachentöters Georg tragen, lassen sie – einmal in sieben Jahren in der Neujahrsnacht – in den unterirdischen Gang, der zu einem Gerichtssaal führt. Zunächst wird über die ›Gäste‹ Gericht gehalten. Sollte sich ein ›Unreiner‹ dort hinein verirrt haben, wird er getötet. Andere Auslegungen gehen davon aus, dass Unreine sofort vom goldenen Glanz im Saal erblinden.
    Wie dem auch sei, die Venedigermännlein fuhren zu unermesslichen Reichtümern, die sie für die Sonntagskinder aufheben. In einer Erzählung vermutet man einen langen Gang vom Falkenstein über den Salober bis nach Hohenschwangau, unter dem Alatsee hindurch. Hier sollen die Venediger eine unvorstellbare Fülle an Gold und Edelsteinen aufbewahren – für kommende Fürsten. Wer als Flüchtling oder Bedürftiger an den Berg komme und den Eingang finde, dürfe sich nur so viel nehmen, wie er zur Linderung seiner Not brauche – ansonsten schließe sich das Tor des Gewölbes für ihn und er würde über den See wieder ans Tageslicht befördert. Wer dabei nicht sterbe, der könne sein Lebtag nicht mehr sprechen und müsste so das Geheimnis für sich behalten. Die Bescheidenen aber gehen reich nach Hause und haben beim Austritt in Schwangau schon die Geschichte

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