Seegrund
teuflischen Plan ausgeheckt, hochintelligent, kaltblütig, beängstigend. Und dabei hatte die Urban ausgesehen wie eine altjüngferliche Lehrerin, die keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte.
Die Tür ging auf und herein kam zunächst ein Justizvollzugsbeamter, dann in gemessenem Abstand hinter ihm Frau Urban, genau wie Kluftinger sie in Erinnerung hatte: Sie trug einen schlichten langen Rock aus grobem Stoff, dunkelgrün, mit einer hochgeschlossenen schwarzen Bluse, was sie fast wie eine Klosterschwester erscheinen ließ. Ihr Gesicht war hager, die Lippen schmal, die eingefallenen Wangen von grauer, ungesund wirkender Haut überzogen. Sie sah stumm und unbewegt in Kluftingers Richtung.
Der Kommissar bekam einen roten Kopf. Wäre ich nur nicht hergekommen, schimpfte er innerlich mit sich. Frau Urban nahm ihm gegenüber Platz und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Sie wirkte nicht aggressiv, vielmehr gleichgültig. Wie sollte Kluftinger sie begrüßen? Welcher Satz wäre als »Eisbrecher« am ehesten geeignet? Der Kommissar probierte in Gedanken einige Begrüßungen durch. Nachdem er »Schön, Sie zu sehen …« und »Und, Frau Urban, was machen Sie so?« als unpassend verworfen hatte, überlegte er, ob denn »Sie sehen aber recht erholt aus!« geeigneter wäre. Auch hier fällte er für sich ein negatives Urteil. Vielleicht ein eher unverfängliches »Sie sind aber luftig angezogen«?
»Was kann ich für Sie tun, Herr Kluftinger? Nicht, dass ich in Eile bin, aber ich bin doch neugierig, was Sie hierher führt …«, brach Frau Urban ruhig und ohne erkennbaren Groll die Stille und nun erst merkte Kluftinger, dass er sie eine ganze Weile angeschwiegen hatte.
»Nun … ich … wissen Sie, was zwischen uns geschehen ist …«, begann der Kommissar, hielt dann aber sofort wieder inne. Was tat er da gerade? Sein Gestammel hörte sich an, als wolle er mit einer verflossenen Liebe wieder in Kontakt treten. Was war nur in ihn gefahren? Er hatte sich schließlich nicht zu entschuldigen, dass man sie für ein begangenes Verbrechen belangt hatte. Er räusperte sich und begann erneut, nun mit dem Vorsatz, alles rein »geschäftsmäßig« ablaufen zu lassen. »Ich bin gekommen, weil ich Informationen über mehrere Sagen brauche. Und ich wusste, dass Sie mir da wohl am besten Auskunft geben könnten.«
Er prüfte ihren Blick, der unverändert emotionslos auf ihn gerichtet war.
»Es dreht sich um den Alatsee.«
»Ah ja, ein weites Feld«, sagte die Urban und setzte sich. Kluftinger bemerkte einen Glanz in ihren Augen, der der Zeit und allen Bedingungen, in denen sie lebte, entrückt schien. So war es auch damals gewesen, als es um ihren Fall gegangen war: Immer, wenn sie von Sagen und Mythen sprach, schien sie aufzuleben, sich in eine andere Welt zu begeben. »Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen. Einiges weiß ich aus dem Stegreif. Wenn Sie möchten – ich habe bei meinen persönlichen Dingen auch kleine Teile meiner Bibliothek …«
»Nein, fürs Erste reicht es mir, wenn Sie mir erzählen, was Sie darüber wissen. Ich habe bisher schon von einem ›Schlüsselmönch‹ und von der angeblichen Trichterform des Sees gehört, allerdings nur sehr oberflächlich.«
»Der ›Schlüsselmönch vom Faulenbach‹, wie er offiziell heißt, soll im Faulenbachtal umgehen und keine Ruhe finden, weil er einst abends eine Frau in seine Klause eingeschlossen und sich an ihr vergangen haben soll. Nachdem er sie geschändet hatte, sagt man, hat er sie in einer Kiste mit vielen Schlössern im See versenkt. Von ihr geht ein Fluch aus, weshalb der See tatsächlich jahrhundertelang nicht befischt wurde. Der Schlüsselmönch aber soll erst Ruhe finden, wenn er die Schlösser zu den vierundvierzig Schlüsseln an seinem Bund aufgeschlossen hat. Die Ironie des Schicksals: Er darf das Tal und den See nicht verlassen – und es gibt wohl nicht genügend Leute mit den passenden Schlössern dort oben!« Frau Urban lächelte kurz, richtete sich in ihrem Stuhl auf und rutschte an die Vorderkante der Sitzfläche. Mit der verhärmten Frau, die gerade den Raum betreten hatte, schien sie nichts mehr gemein zu haben.
»Ein interessantes Detail dieser Geschichte ist, dass sie ganz ins Reich der Sagen und Mythen geriet, wie so viele andere – bis einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Da tauchte der Schlüsselmönch angeblich wieder auf. Keiner weiß, warum, aber den See haben auch deswegen viele gemieden.«
Fast verschwörerisch sprach sie mit
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