Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
Vom Netzwerk:
Bartenschlager!« wurde von einem ehrfürchtigen »Habe die Ehre, Herr Oberkommissär« beantwortet. Kluftinger nahm Platz. »Möchten Sie ein Bier, Herr Kommissär?« Der alte Mann schien nun viel aufgeräumter als zuvor.
    »Danke, ich bin im Dienst«, sagte Kluftinger. Er entschied sich, dessen veraltetes »Kommissär« nicht zu verbessern. Eine Weile sahen sich die beiden nur an, während Günther Steinle die aufgehängten Artikel betrachtete.
    »Tja, Herr Bartenschlager, was können Sie denn über den Alatsee erzählen?«, fragte Kluftinger. »Mich würden vor allem die Vorgänge in der Zeit des Dritten Reichs interessieren.«
    »Ich will Ihnen vertrauen. Wenn Sie mich für einen Spinner halten und meinen, Sie können sich Witze erlauben, dann soll Sie der Deifl holen!«
    Kluftinger nickte. »Woher wissen Sie eigentlich so viel mehr als alle anderen?«
    »Aber ich muss Ihnen sagen, dass auch ich keine Details mehr weiß. Es ist nämlich so: Ich war damals oben am Alatsee und habe gehütet. Jungvieh, wissen Sie? Bei meinem Onkel. Ihm hat dieser Hof da gehört, den ich dann auch übernommen habe. Sie sehen, ich war ein Bub zu der Zeit – und so genau kann ich mir die Vorgänge bis heute nicht erklären.«
    Kluftinger merkte, wie sein Mund trocken wurde: Ein Augenzeuge – damit hatte er nicht gerechnet. »Welche Vorgänge?«
    »Ja. Also, es … wie gesagt, wir beide waren dort oben Hütebuben.«
    »Wer ist wir?«
    »Ich und …« Bartenschlager schluckte und blickte zuerst Kluftinger, dann Günther Steinle an, der sich mittlerweile in einem zerschlissenen samtbezogenen Sessel niedergelassen hatte und eher gelangweilt schien. »Also entweder, Sie lassen mich der Reihe nach erzählen, so wie ich will, oder Sie lassen es sein. Sie sind ja so nervös und fickerig, da komm ich ganz durcheinander.« Steinle grinste, Kluftinger senkte den Kopf. Ein gemurmeltes »Entschuldigung« sollte für die nächsten Minuten das letzte Wort des Kommissars gewesen sein.
    »Wie gesagt, wir waren Hütebuben. Ich und der David. Der David war so alt wie ich, also dreizehn. Er war Kriegswaise und bei meinem Onkel und meiner Tante einquartiert über den Sommer. Eigentlich kam er aus Dresden. Wir haben uns nach kurzer Zeit angefreundet und immer zusammen gehütet. Am Anfang hat er mich nicht recht verstanden, mit meinem Dialekt, aber dann ging’s immer besser. Beim Onkel und der Tante ging’s ihm nicht so gut wie mir – er hat immer im Heu schlafen müssen und nicht so viel zu essen bekommen wie ich. Aber ich wollt mit meinen Eltern reden, ob wir ihn nicht aufnehmen können. Ich komm aus Pfronten, wissen S’. In dem Sommer damals war es sehr heiß. Das war 1942. Schon im Juli hatte es an die dreißig Grad. Um uns abzukühlen, sind wir zum Alatsee gegangen. Obwohl die Tante und auch der Onkel uns immer gewarnt haben. Der See ist nicht so ganz geheuer, haben sie gesagt. Und dass es verboten ist, dort hinzugehen. Aber was gibt man als Dreizehnjähriger schon auf solche Warnungen? Wenn überhaupt, haben sie uns damit erst recht neugierig gemacht.«
    Bartenschlager hielt kurz inne, versenkte seine Stirn in der Hand, seufzte schwer und setzte dann wieder an. Kluftinger kam es vor, als hätte er seit einer Ewigkeit darauf gewartet, jemandem die Geschichte seines Lebens erzählen zu können.
    Dann fuhr er fort: »Wir sind schwimmen gegangen, es war später Nachmittag und eigentlich hätten wir längst beim Essen sein sollen. Schließlich haben wir die Zeit vergessen und die Dunkelheit ist aufgekommen. Wir haben schnell zurück gewollt und da sind sie gekommen: Auf der Straße, die vom Weißensee raufführt. Zuerst einige Motorräder mit Beiwagen. Danach Limousinen und schließlich bestimmt fünfzehn Lastwägen. Wir haben unseren Augen nicht getraut. Aber wir haben ja nach Hause müssen, schließlich war es schon dunkel. Wir haben uns geschworen, gleich am nächsten Morgen nachzusehen, was sie dort machen.«
    Kluftinger fand es erstaunlich, wie viele Details Bartenschlager nach so langer Zeit doch noch parat hatte. Das ließ ihn in seinen Augen sehr glaubwürdig erscheinen. Er war gespannt, worauf die Geschichte hinauslaufen würde.
    »Aber am nächsten Morgen war Sonntag und wir mussten in die Kirche hinunter. Und wie wir zurückgekommen sind, ist ein Mann mit schwarzem, ledernem Mantel hier am Tisch gesessen, genau da, wo Sie jetzt sitzen. Mit meinem Onkel. Nach dem Essen haben die Tante und der Onkel uns zu sich gerufen und uns eingeschärft,

Weitere Kostenlose Bücher