Seegrund
sich.
Günther Steinle fuhr derartig zusammen, dass er seinen Kaffee über das Papier verschüttete, in das er sich so konzentriert Notizen gemacht hatte. »Herr Steinle – Sie müssen mir genauere Informationen verschaffen.« Irritiert blickte Steinle den Mann mit Lodenmantel, handgestricktem Schal und Skimütze an, der da in sein Büro geplatzt war. Kluftinger lenkte den Blick des Amtsleiters auf den metallenen Gegenstand, den er ihm gerade auf den Tisch geworfen hatte. Der Kommissar war so ungeduldig, endlich Licht in die Untiefen dieses Sees zu bringen, dass er sogar auf die einfachsten Umgangsformen verzichtete.
»Wir müssen herausfinden, was es mit diesem Werkzeug genau auf sich hat. Wir haben es auf dem Seegrund gefunden«, fuhr Kluftinger fort. »Sie hatten angedeutet, was dort oben während des Zweiten Weltkriegs vor sich gegangen ist. Sie wollten nicht spekulieren – nun muss ich aber alles wissen, was Sie jemals, von wem auch immer, über dieses Thema gehört haben.«
»Grüß Sie Gott, Herr Kluftinger!«, hieß Steinle den Eindringling willkommen und wies ihn so gleichzeitig auf sein unhöfliches Auftreten hin. Dann fiel sein Blick auf das Metallstück auf seinem Schreibtisch und seine Augen wurden groß. »Also doch …«, murmelte er. Er ging zu einem Regal und ließ seinen Zeigefinger über die Buchrücken gleiten. Dann zog er einen dicken Wälzer heraus, blätterte darin herum und ging damit wieder zum Schreibtisch. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er das Eisen und nickte schließlich. »Das würde passen«, sagte er.
»Wie bitte?«
Steinle sah auf. Er schien den Kommissar ganz vergessen zu haben.
»Ich habe Ihnen doch von der Stadtchronik erzählt«, hob er an.
Kluftinger nickte.
»Jetzt hören Sie mal zu.« Er las vor: » Seit 1942 führten die Zeppelin-Werke Stuttgart-Ruit in einer kleinen Versuchsanstalt am Alatsee Forschungen im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums durch. Angeblich sollten Spezialbomben und Lufttorpedos erprobt werden. «
Steinle seufzte: »Zwei Sätze, wie ich es Ihnen gesagt habe. Mehr findet sich nicht darüber. Aber das scheint in diesem Fall zu genügen. Kommen Sie doch mal her.«
Kluftinger ging um den Schreibtisch herum und stellte sich hinter Steinle.
»Sehen Sie die Buchstaben auf dem Eisen? RLM? Das könnte …«
»… Reichsluftfahrtministerium bedeuten. Ja, ich weiß schon.«
»Und der Rest?«
Kluftinger zuckte die Achseln.
Steinle las noch einmal aus dem Buch vor: »Zeppelin Werke Stuttgart-Ruit – ZeppW ST-RU.«
Kluftingers Kiefer klappte nach unten. »Treffer!«
»Versenkt! Nur das SGRD fehlt uns noch.«
Steinle überlegte kurz, stand dann rasch auf, packte das Metall und sagte zum Kommissar: »Lassen Sie uns einen kleinen Ausflug machen.«
»Wo fahren wir denn hin?«, wollte Kluftinger wissen, als Steinle auf dem Beifahrersitz des Passats Platz genommen hatte.
»Fahren Sie Richtung Faulenbacher Tal – also erst mal Richtung Kempten raus, an der Kaserne vorbei. Ich hoffe, Sie haben gute Winterreifen – es geht ganz schön steil bergauf.«
»Ja, ja, die sind noch gut«, log Kluftinger, gab sich aber nicht zufrieden: »Ich meine: Wo genau fahren wir denn hin, Herr Steinle?«
»Nun, mir ist eingefallen, dass es dort oben einen gibt, der viele Geschichten über die Vergangenheit weiß. Man nennt ihn den ›Nazi-Martl‹, ein Füssener Original, könnte man sagen. Kaum einer nimmt ihn mehr so richtig ernst. Nach dem Krieg bis in die siebziger Jahre hat er immer wieder mit irgendwelchen Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam gemacht. Überall sah er Nazi-Seilschaften und vermutete Mauscheleien unter alten Kameraden. Manchmal hat er früher in der Stadt selbst gedruckte Flugblätter verteilt oder er ist mit Plakaten oder Transparenten in der Fußgängerzone auf und ab gelaufen. Hin und wieder liest man noch einen Leserbrief von ihm in der Zeitung, ansonsten aber ist es ruhig geworden um ihn. Niemand hat seinen Geschichten Glauben geschenkt. Vielleicht lag das aber auch daran, dass niemand darüber etwas hören wollte.«
Kluftinger folgte den Anweisungen Steinles bis zu einer Abzweigung, die er gut kannte: Es ging weiter Richtung Alatsee. An einer kleinen Kreuzung im Wald bogen die beiden rechts ab. Der alte Kombi hatte Mühe, sich durch das steile, schlecht geräumte Sträßchen zu kämpfen.
Nach drei, vier steilen Biegungen hörte der Wald auf und der Blick auf einen alten Bauernhof wurde frei. Es war eines dieser kleinen,
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