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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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geschneit und jetzt fing es erneut an. Kluftinger schlug seinen Mantelkragen hoch, ging los und erstarrte.
    Im dichten Schneegestöber zeichnete sich unmittelbar vor dem Haus eine Gestalt ab. Es war Friedel Marx.
    Sie war am Morgen noch nicht im Büro gewesen und er hatte gehofft, sie für den Rest des Tages vom Hals zu haben. Bei ihr hätte er sogar Blaumachen toleriert. Nun fühlte er sich ein wenig wie der Hase, der nach zahllosen geschlagenen Haken von einem fröhlichen »Ich bin schon da!« des Igels begrüßt wird.
    Er grüßte sie lediglich mit einem Kopfnicken und ohne dass er fragte, erzählte sie ihm stolz, wie sie vor ihm hierher gekommen sei. Die Geschichte war kurz und wenig aufregend, doch ihr schien sie große Freude zu bereiten: Sie sei heute mit dem Zug gekommen, weil ihr Wagen gestreikt habe. Als man ihr telefonisch mitgeteilt habe, dass er bereits unterwegs sei, habe sie sich einfach ein Taxi genommen und sei hergefahren. Kluftinger nickte nur und ging auf das Gebäude zu. Von Wagners Büro hatte er die Auskunft erhalten, dass der Architekt wohl zu Hause anzutreffen sei; da der schon Mitte siebzig sei, komme er längst nicht mehr jeden Tag ins Büro, das mittlerweile seine Tochter und sein Schwiegersohn führten.
    Nun stand Kluftinger am Ufer der Iller vor einer ehemaligen Industrieanlage und sah seiner Kollegin beim Rauchen zu. Wie um alles in der Welt konnte man hier wohnen? Einladend sah dieses Gemäuer nicht aus. Der Kommissar hatte zwar einmal in der Zeitung gelesen, dass Wagner das Areal zu einem Spottpreis von der Stadt gekauft hatte, mit der Auflage, das Industriedenkmal äußerlich nicht wesentlich zu verändern und für die Instandhaltung Sorge zu tragen. Es war geplant, den Backsteinbau aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, in dem bis in die achtziger Jahre vor allem italienische Gastarbeiter Baumwollstoffe gewebt und gesponnen hatten, in Luxuswohnungen umzubauen. Noch aber sah es gar nicht danach aus. Nur ein zerfetztes Transparent wies auf den baldigen Baubeginn hin und verhieß, dass »bereits über sechzig Prozent der Fläche« verkauft seien. Wagner hatte sich hier aber offenbar bereits eine Wohnung eingerichtet. Nun galt es, den richtigen Eingang zu finden.
    »Ich wär so weit, gehen wir!«, meldete sich Friedel Marx nach einer Weile und setzte zu einem Husten an, bei dem man ohne Weiteres auf offene Tuberkulose hätte tippen können. Kluftinger hatte in der Zwischenzeit eine massive, graue Stahltür mit zwei Flügeln ausgemacht, über der eine Überwachungskamera hing. Der Eingang zu Tassilo Wagners Privatwohnung, wie ein Messingschild verriet.
    »Einen Moment, ich lasse Ihnen den Aufzug hinunter! Wenn es summt, können Sie die Tür öffnen!«, quäkte eine Frauenstimme aus einem Lautsprecher, nachdem sie geläutet hatten. Dann hörten sie, wie sich von oben quietschend ein Fahrstuhl in Bewegung setzte.
    Sie stiegen ein und als sich die Tür wieder öffnete, verschlug es Kluftinger den Atem: Der Aufzug war offenbar die Eingangstür zu Wagners Wohnung. Er blickte nun direkt in ihr Wohnzimmer, wobei die Bezeichnung »Zimmer« der Halle, die vor ihm lag, nicht gerecht wurde. Der riesige Raum wurde nur von einigen gusseisernen Säulen durchbrochen.
    Rechts stand verloren ein Kleiderständer, danach kam in der Mitte des etwa zehn Meter breiten Schlauches ein riesiges, kreisrundes Sofa, dessen Lehnen Medizinbälle waren. In der Mitte des Kreises fand sich ein hölzernes Gebilde, das Kluftinger als eine der riesigen Kabelrollen identifizierte, die beim Straßenbau zum Einsatz kamen. Hier diente diese offenbar als Couchtisch.
    An den beiden Wänden entlang, unter den Fenstern, wechselten sich niedrige Regale mit alten Kirchenbänken ab. Hinter dem Sofa schließlich ein Esstisch, der nicht am Boden stand, sondern an seinen vier Ecken mit Stahlstangen von der Decke herabhing.
    Kluftinger blickte nach oben. Die Halle war gut und gern sieben Meter hoch und der Giebel hatte auf beiden Seiten jeweils eine riesige Fensterfront. So etwas kannte er höchstens aus Filmen. Zudem hätte er ein solches Domizil allenfalls einem vierzigjährigen Porschefahrer zugetraut, nicht aber einem Mann in den Siebzigern. Die mussten seiner Vorstellung nach doch wenigstens ein bisschen wie seine eigenen Eltern wohnen: mit weichen Berberteppichen, Eckbänken und Eiche-Rustikal-Schrankwänden, neben denen die Hochzeitsbilder der Kinder und Fotografien der Enkel mit Schlitten oder Schultüten aufgehängt

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